Gegen den Trend: Folkpop aus deutschen Landen
Berlin (dpa) - Deutschsprachiger Pop dominiert die Charts. Zugleich ist in diesem Herbst ein gegenläufiger Trend zu bestaunen: eine ganze Reihe von Alben, auf denen deutsche Musiker Folkpop, Countryrock und Americana nachempfinden.
Fünf Beispiele.
TORPUS & THE ART DIRECTORS: Die Band um Frontmann Sönke Torpus klingt dermaßen nach Highway-Staub und endloser Weite, dass man den Jungs ihre Hamburger Herkunft zunächst gar nicht abnehmen mag. Und sie verstehen ihren Sound im Wortsinne als Rootsrock, denn zu den Wurzeln des Musikmachens gehen sie auch bei ihren Konzerten zurück. So gab das junge Quintett Mitte Oktober zwölf Konzerte an drei Tagen in drei Städten (Hamburg, Berlin, Köln), pendelte zwischen Fußgängerzonen, Plattenläden, Kneipen und Clubs. Und es spielte sich dabei „den Hintern ab“, wie man im Musikerjargon so sagt.
Das Debütalbum heißt - passend zum unüberhörbaren Americana-Einschlag - „From Lost Home To Hope“ (Grand Hotel van Cleef). Es wird jeden glücklich machen, der die Platten von Mumford & Sons oder Fleet Foxes ins Herz geschlossen hat. Eine klassische Countryrock-Instrumentierung, dazu Banjo, Mandoline und Trompete, die klare, melancholische Stimme von Sönke Torpus und immer wieder ganz wunderbare Harmoniegesänge - fertig ist ein authentisch wirkendes Americana-Kleinod aus deutschen Landen. Kompliment!
BROKOF: Auch die vier Berliner haben sich nach ihrem Frontmann benannt - wie Torpus spielt auch Fabian Brokof Gitarre und singt auf Englisch mit stets etwas trauriger, aufgerauter Stimme seine schönen Lieder. „Side By Side“ (Goldrausch Records/Rough Trade) ist das zweite Album der Band, und es beweist eine deutliche Weiterentwicklung gegenüber dem noch etwas unebenen Debüt von 2010.
Kraftvolle Songs mit klarer Verwurzelung im folkigen Ami-Rock und mit einem Hauch Britpop erinnern gelegentlich an das Solowerk von Lloyd Cole oder an die traditionellere Seite von Wilco. „The Walls Of Indifference“ zockelt im gehobenen Tempo daher, aber auch die (Piano-)Balladen des Quartetts können sich hören lassen (Tipp: das romantische „The One“). Und der Gitarrenpop von „Two Steps Back“ lässt in einem immer kälter werdenden Herbst unverhofft die Sonne aufgehen. Kurz: Mit Brokof ist eine der hierzulande interessantesten Folkrock-Bands zur Entdeckung freigegeben.
MAX & LAURA BRAUN: Zwei feine Stimmen und sparsame Arrangements prägen den folkigen Sound dieses Bandprojekts. Kein Wunder, dass die Harmonie so groß ist, sind beide Sänger doch Geschwister, die schon seit ihrer Jugend zusammen Musik machen. Vor gut zehn Jahren ging Laura Braun nach London, und als sie mit Bruder Max 2008 einige Tage in der südenglischen Provinz verbrachte, war die Idee einer gemeinsamen Platte geboren.
Das Ende September erschienene „Telltale“ (Arctic Rodeo) atmet eine Entspanntheit und Melodiefülle, die an große britische oder amerikanische Vorbilder denken lässt - und keinen Moment an das schwäbische Örtchen Plüderhausen, in dem das Album innerhalb weniger Tage entstand. Lauras verträumter Gesang steht im Vordergrund, Max begleitet mit teils jazzigen oder bluesigen Gitarrenklängen („I Saw The Mountain Rise“), dazu Kontrabass, E-Piano, Orgel, Pedal-Steel - mehr braucht es nicht, um den Hörer in eine akustische Idylle zu versetzen. Folkpop für Stressgeplagte.
LESTAT VERMON: Hinter diesem etwas kryptischen Projektnamen verbirgt sich Philipp Makolies aus Dresden, der unter anderem als Gitarrist der Indie-Artrock-Band Polarkreis 18 bekannt wurde. Mit „Clouds“ (K & F Records) konzentriert er sich nun aufs Wesentliche: eine alte Nylonsaiten-Klampfe, etwas Klavier, seine helle, freundliche Stimme und etwas Chorgesang. Im Titelsong kommen noch Bläser hinzu und sorgen gegen Ende für feierliche Atmosphäre.
Die prachtvollen Britfolk-Songs von Nick Drake klingen hier und da an, aber auch der Singer/Songwriter-Pop der 70er und 80er Jahre (erneut kann man Lloyd Cole als Vergleich heranziehen). Fazit: Makolies alias Lestat Vermon hat sich auf „Clouds“ von seiner zum Bombast neigenden Band weit entfernt. Dieses selbstproduzierte Album, an dem ansonsten nur noch der Multiinstrumentalist Ludwig Bauer mitwirkte, bietet stattdessen herbstliche Traumtänzermusik auf erstaunlichem Niveau.
BINOCULERS: Auch hinter diesem Pseudonym steckt eine durchaus eigenwillige Künstlerpersönlichkeit, die Sängerin und Akustikgitarristin Nadja Rüdebusch. Vor „There Is Not Enough Space In The Dark“ (Insular Music) fiel sie schon mit ihrem 2010er Debüt angenehm auf (unter anderem dem deutschen „Rolling Stone“). Nun legt sie mit einem an Suzanne Vega oder Yann Tiersen angelehnten Kammer-Folkpop eindrucksvoll nach.
Neben Gesang und Gitarre übernimmt Nadja Rüdebusch eine ganz Reihe weiterer Instrumente, die sie mit den Beiträgen von Daniel Gädicke (Schlagzeug, Bass), Karsten Genz (Theremin), Johnny Lamb (Kornett) und Friedrich Paravicini (Cello) zu einem hauchzarten Bandsound zusammenfügt. Am schönsten gelingt das im bezaubernden „Grandmother's House“ oder in „Trapped“, wenn sie ihre sanfte Flüsterstimme mit der Klarinette von Tina Falk verknüpft. Binoculers bieten bildhübschen Folkpop, dem man seine bescheidene Produktion in Rüdebuschs Hamburger Wohnung nicht anhört.