Gustav Mahler: Vom Weltruhm eines „Unzeitgemäßen“
Berlin (dpa) - Umjubelt war er zu Lebzeiten eigentlich immer: Aber Gustav Mahler hätte sich vermutlich darüber aufgeregt, dass sein Publikum aus den falschen Gründen jubelte. Denn er war zwar einer der berühmtesten Dirigenten seiner Zeit, mit seinen Kompositionen fand er aber lange wenig Verständnis.
Trotzdem blieb er überzeugt: „Die Zeit für meine Musik wird noch kommen.“ Er behielt recht. Doch wie lange dies dauern würde, war ihm damals kaum klar, wie steil der Aufstieg zum Weltruhm ausfallen sollte, auch nicht. Er wurde spätestens seit den 1960er Jahren zu einem der populärsten Komponisten überhaupt - was selbst der prophetische Mahler so nicht erwartet haben dürfte. Am 18. Mai ist sein 100. Todestag - nachdem die Musikwelt erst im vergangenen Jahr, am 7. Juli, seinen 150. Geburtstag gefeiert hat.
Das zweite Jahr des Doppel-Jubiläums macht sich auch in den Musikzentren bemerkbar: Claudio Abbado steht zu Mahlers Todestag wieder am Pult der Berliner Philharmoniker - der einstige Chefdirigent dirigiert das Adagio aus der 10. Sinfonie sowie das „Lied von der Erde“ mit Anne Sophie von Otter und Jonas Kaufmann. Das Beethovenfest Bonn und das Rheingau-Musik-Festival widmen sich Mahler und Franz Liszt - zu dessen 200. Todestag -, das internationale Mahler-Festival in Leipzig hat sämtliche Mahler-Sinfonien im Angebot.
Dabei war Mahlers Musik zu seinen Lebzeiten umstritten, er galt als Epigone Bruckners und Wagners. Erst die Mahler-Renaissance nach dem Zweiten Weltkrieg brachte seine wahre Bedeutung als Vorreiter der Moderne ans Licht - und seinen Einfluss auf Komponisten wie Schönberg, Webern oder Schostakowitsch. Dirigenten wie vor allem Leonard Bernstein sorgten dafür, dass seine Musik in den Konzertsälen gespielt wurde.
Als „Unzeitgemäßen“ sah er sich selbst, als „weltfremden Träumer“ beschrieb ihn Richard Strauss. Gleichzeitig war er ein kompromissloser, auch machtbewusster Künstler: Neben Arturo Toscanini war es vor allem Mahler, der, wie Verdi es einmal formulierte, die Eitelkeit des Primadonnen-Rondos durch die Tyrannis des Dirigenten, das größere Übel, ersetzte. Zwischen 1897 und 1907 dirigierte Mahler in Wien, dabei legte er vor allem Wert auf darstellerische Individualität. Das heißt: Er machte aus seinen Sängern im Vorgriff auf moderne Opernregie Singschauspieler.
Mahler habe „eine neue Epoche der Opernkunst eingeleitet und das Festspiel in Permanenz visiert“, schrieb der Kritiker und Autor Jürgen Kesting. Dass er in zehn Jahren 122 Premieren betreute, sei Zeugnis eines „Kunstwillens, der das Ideal anstrebt“. Dabei sah Mahler in seinen Sängern weniger Stars als Diener des Werks. Das musste zu Kämpfen führen. Dazu kamen antisemitische Kampagnen, so dass Mahler seinen Posten als Direktor der Wiener Hofoper aufgab.
Mit seinen eigenen Werken suchte der Bruckner-Schüler nach neuen Wegen, arbeitete bewusst Märsche, Tänze und Volkslieder in seine Werke ein. Er missachtete „die Grenze zwischen der Musik als Kunst und der "Trivialmusik"“, wie der Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus erklärte. Heute nennt man dies Crossover - Mahler war erneut vorausschauend. Seine Musik trug autobiografische Züge, er bekannte, nie eine Note geschrieben zu haben, die „nicht absolut wahr“ sei.
Das Leben des 1860 im böhmischen Kalischt geborenen Komponisten, der schon immer mit seinem Dirigentenberuf höchst unzufrieden war, ging im Sommer 1910 in die Brüche. Damals kam er dahinter, dass seine Frau Alma, die er 1902 geheiratet hatte, ein Verhältnis mit dem jungen Architekten Walter Gropius hatte. Schon vorher hatte Mahler unter dem Tod der Tochter Maria, der Trennung von der Hofoper und der Diagnose eines Herzfehlers gelitten. Zugleich entstanden seine genialsten Werke - das „Lied von der Erde“, die neunte und die unvollendete zehnte Sinfonie. 1911 starb Mahler in Wien an einer Herzinfektion.
Vor der Mahler-Renaissance der 60er hatte es der Komponist schwer, wenn es auch in den frühen 1920er Jahren eine kurze Mahler-Blüte gab. Doch dann wurde er vergessen, verschwiegen oder gar verboten: „Die neun Symphonien Mahlers sind als Werk eines Juden aus den Spielfolgen deutscher Konzerte gestrichen“, hieß es in Nazi-Deutschland etwa in „Meyers Konzertführer“ von 1937. Das war der Tiefpunkt - was folgte, war schließlich der späte Weltruhm als Komponist.