Helge Schneider: „Ich schere mich nicht um Regeln“
Mülheim (dpa) - Helge Schneider (58) ist die Ruhe selbst: Seine letzte Platte war ein Riesenerfolg, mit alten Freunden in einer neuen Band geht er bald auf Deutschlandtour.
Es wird vorerst die letzte sein. Warum er eine Pause braucht und dass er schon immer eigentlich ganz Deutschland bezirzen wollte, erzählt er im Interview der Nachrichtenagentur dpa.
Frage: Mit Ihrer letzten Platte „Sommer, Sonne, Kaktus“ ging es rauf auf Platz 1 der Albumcharts. Erschrickt jemand, der immer ein bisschen anarchisch war, den Massengeschmack so gut zu treffen?
Antwort: Man ist ja nicht künstlerischer Anarchist, damit das keiner weiß. Im Gegenteil. Wenn man anfängt, ist die Verbreitung klein. Deshalb entsteht dann manchmal der Eindruck, dass der Künstler etwas tatsächlich nur für wenige machen will. Aber ich will eigentlich für alle Leute was machen. Ich wollte auch nie polarisieren, ich wollte den ganzen Pol auf mich ziehen. Ich wollte schon immer alle Leute bezirzen. Nichts anderes ist es ja: ein Bezirzen. Ich würde es aber weniger als anarchistisch beschreiben, sondern als eigenständig, als nicht mode-abhängig. Ja, vielleicht auch als verrückt.
Frage: Nach mehr als 20 erfolgreichen Jahren sind Sie jedenfalls als deutscher Bühnenkünstler und Unsinnmacher nicht mehr wegzudenken. Was halten Sie für Ihren Verdienst um den deutschen Humor?
Antwort: Ich habe mich nie um den deutschen Humor verdient gemacht. Verdienst ist nur für mich (lacht). Es gibt auch Leute, die können nicht über das lachen, was ich mache. Ich kann da auch öfters nicht drüber lachen. Und es hat ja auch nicht immer was mit Lachen zu tun. Es geht auch um Musik. Das ist eine Ausdrucksmöglichkeit, die ich für mich erfunden habe, um damit glücklich zu sein auf der Bühne. Zu Improvisieren, das ist das, was eben auch anarchisch aussieht. Dass ich mich nicht um Regeln schere.
Frage: Die jetzt beginnende Tour „Pretty Joe und die Dorfschönheiten“ wird vorerst Ihre letzte sein. Sie haben angekündigt, danach eine Bühnenpause einzulegen. Was hat den Ausschlag gegeben?
Antwort: Nix. Vielleicht weil ich gerade so eine tolle Band zusammen habe und damit einen guten Abschluss mache. Dass ich jetzt nicht mehr so suche. Ich habe tolle Leute an meiner Seite, mit denen ich wirklich sehr gerne musiziere, mit denen alles easy ist. Jeden Tag woanders sein. Da ist dann von Strapaze nichts zu spüren.
Frage: Klingt eher nach einer Begründung, ewig weiter zu machen, statt aufzuhören.
Antwort: Doch, für mich schon. Ich hätte vielleicht schon eher aufgehört. Aber jetzt habe ich es auch deklariert. Wenn ich das keinem sagen würde, dann würde das nicht funktionieren. Ich bin jetzt 30 Jahre auf Tournee. Ich muss davon jetzt eine Pause machen. Eine künstlerische Pause, eine Schaffenspause oder auch eine lange Pause. Weiß ich noch nicht.
Frage: Wie lange müssen die Fans denn warten, Sie wieder auf der Bühne zu sehen?
Antwort: Irgendwann mache ich wieder was. Das ist schon klar. Ich kann ohne das nicht existieren. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, zwei, drei, vier Jahre oder sogar noch länger nix zu machen. Vielleicht auch zehn Jahre. Mal sehen. Man muss ja auch mal warten können. Bei jedem Zahnarzt muss man stundenlang warten.
Frage: Und wie werden Sie sich die ganze freie Zeit vertreiben?
Antwort: Mal gucken. Möbel bauen. Gartenarbeit. Obstbäume anpflanzen, so was. Wie so Diktatoren im Exil. Draußen sein, spazieren gehen. Paddeln vielleicht. Auch Musik kann ich ja trotzdem machen.
Frage: Was hat Sie eigentlich all die Jahre in Mülheim gehalten?
Antwort: Das Bewusstsein, dass ich hier geboren bin und dass es Heimat ist. Ich bin ein sehr geerdeter Typ. Ich denke mir dann alles weg, was unsere Heute-Zeit mit sich bringt, inklusive Beton und Häuser, und sage mir: Hier bin ich geboren worden, hier ist der Platz. Das heißt nicht, dass ich zufrieden sein muss mit der Stadt oder mit den Verhältnissen hier.
Frage: Was stört Sie denn an Ihrer Heimat?
Antwort: Der Filz überall. Ich mag auch nicht den Umgang mit der Natur und mit Menschen. Das ist einfach katastrophal. Vor 30 Jahren ist in meinem Umfeld der Begriff 'saturiertes Einerlei' aufgetaucht. Das beschreibt so Städte wie Mülheim, Oberhausen und Essen - aber auch anderswo. Alle Städte sind mittlerweile so: mit den Fußgängerzonen und den Blumenkübeln. Es muss einem nicht gefallen, wenn abends nach Geschäftsschluss die Straßen leer sind und die Menschen sich nicht mehr auf den Straßen treffen. Es gibt keine mutigen Leute, die auch eine Kneipe aufmachen, wo sie sich treffen können, geschweige denn wo auch Musik gemacht wird.
Zur Person: Helge Schneider, 58 Jahre alt und aus Mülheim an der Ruhr, ist skurriler Unterhaltungskünstler, gewitzter Wortakrobat und hervorragender Jazz-Musiker. Er dreht Filme, schreibt Bücher und Songs und steht seit 30 Jahren mit seiner musikalischen Trash-Comedy, die Improvisation zum Prinzip erhebt, auf der Bühne. Seit seinem Durchbruch mit „Katzeklo“ 1994 ist er regelmäßig deutschlandweit auf Tournee. 2013 stürmte Helge Schneider mit seinem Album „Sommer, Sonne, Kaktus“ auf Platz 1 der Charts.