House-Duo Disclosure: Zwei Jungs, die nur spielen
Die beiden Brüder, die hinter Disclosure stehen, sind gerade mal 22 und 19 Jahre alt — und gelten vielen schon als Heilsbringer aktueller House-Musik.
London. Polemisch, aber wahr. In seinem neuen Roman „Ich gegen Osborne“ schreibt Joey Goebel über aktuelle Popmusik: „Ich war mir nicht sicher, in welches Genre der nächste Song gehörte. Was machte es auch für einen Unterschied. So klang Dummheit. Wichtig war allein der Beat, der den Körper animierte, sich zu bewegen, ob er mochte oder nicht.“
Doch was der amerikanische Autor verkennt: Während ein Großteil der Chartmusik tatsächlich mit dem immer gleichen stumpfen Vier-Viertel-Beat Schema F bedient, gibt es Ausnahmen. Selbst im von Hause aus beatlastigen Genre elektronischer Musik. Ausnahmen wie das britische House-Duo Disclosure.
Guy und Howard Lawrence aus Surrey nahe London locken mit ihrem elektronischen Genre-Mix zwar auch auf die Tanzfläche, sie nehmen statt des Vorschlaghammers allerdings eine feine Feder zur Hand, mit der sie behutsam, aber bestimmt große Melodien und abwechslungsreiche Songs arrangieren.
Eine große Leistung für zwei Burschen, die gerade mal 22 und 19 Jahre alt sind. Dass die beiden bei all dem bescheiden geblieben sind, spricht für sie: „Wir sind bloß zwei Jungs, die Musik machen, die ihnen gefällt“, sagen sie im Gespräch mit dem Magazin „Groove“.
Wie das gelingt? Guy und Howard vollziehen einen Drahtseilakt in der Manege populärer Musik. Unbedarft bedienen sie sich im Gemischtwarenladen elektronischer Bass-Genres: UK Garage, Detroit-, Deep- und Chicago-House. Dazu die Eigenheiten herausragender Gastsänger.
Diese Versatzstücke setzen sie zu Songs zusammen, deren musikalische Strukturen auf den Underground-Club schielen und deren Melodien den Mainstream bedienen. Dabei waren sie gerade erst geboren, als Dance und House in den 90ern weltweit ihren Siegeszug feierten.
Eben diese Unvoreingenommenheit ist es, die ihr Werk ausmacht. Guy und Howard sind mit Singer-Songwritern und amerikanischem Hip-Hop groß geworden. Das hört man ihren Melodien an. „Wir klingen wohl so, wie wir klingen, weil wir eben nicht nur mit Dance-Musik aufgewachsen sind.“
Und sie klingen nach Disclosure, weil ihnen eine beeindruckende Auswahl an Gastmusikern zur Seite steht: Sam Smith, AlunaGeorge, Eliza Doolittle, Jessie Ware, Edward Macfarlane (Friendly Fires), Jamie Woon und die aufstrebenden London Grammar geben den Melodien Funk und Soul. Es sind häufig diese Kollaborationen, die die Songs besonders machen.
Ihr Album „Settle“, das seit wenigen Wochen auf dem Markt ist, wurde von Fans und Kritikern gleichermaßen gefeiert. Das Urteil war allerdings vorher schon gefallen — Disclosure waren längst einvernehmlich zur neuen Speerspitze elektronischer Musik auserkoren.
Bis dahin machten Guy und Howard in Sachen Karriere einen Schritt nach dem anderen, wenn auch in rasendem Tempo. Mit 18 beziehungsweise 15 Jahren veröffentlichten sie in England ihre erste Single „Offline Dexterity“. Vorgruppen-Gigs für SBTRKT und Hot Chip folgten, eine EP auf dem angesagten Label Greco Roman ebenso wie drei weitere Singles — von denen vor allem „Latch“ (feat. Sam Smith) begeisterte und auf der Insel schon Silber erhielt. Remix-Anfragen folgten, sämtliche Hype-Prognosen für 2013 listeten die Brüder, die Frühjahrs-Tour war binnen Minuten ausverkauft.
„Settle“ belegte Platz eins der britischen Charts, in den USA kam das Album immerhin auf Rang 38.
Den obligatorischen Auftritt im Berliner Techno-Tempel Berghain haben Disclosure übrigens auch schon hinter sich. Howard war da gerade 18 Jahre alt.
Live: 8. November, Gloria, Köln