Interview mit Carlos Santana: „Jeder Mensch ist bedeutsam“
„Shape Shifter“ heißt das neue Album von Carlos Santana. Ein Gespräch über Genuss, Kreativität und Leidenschaft.
Las Vegas. Carlos Santana ist eine lebende Legende. Eine Koryphäe der Rockmusik, der 1969 bereits beim Woodstock-Festival gespielt und den Latin Rock salonfähig gemacht hat. Er gilt als einer der besten Gitarristen des Planeten. Jetzt hat er sein neues Album „Space Shifter“ veröffentlicht und spricht über Leidenschaft, Genussfähigkeit und Wege, die Welt zu verändern.
Herr Santana, der amerikanische Autor Henry James hat mal gesagt: „Unser Zweifeln ist unsere Leidenschaft, und unsere Leidenschaft ist unsere Aufgabe. Der Rest ist der Wahnsinn der Kunst.“ Können Sie sich selbst in einen Bezug zu diesem Zitat setzen?
Carlos Santana: Leidenschaft ist ein Treibstoff. Ein Treibstoff, mit dem man Schönheit und Anmut erzeugen kann. Künstler wie die Beatles oder Jimi Hendrix hatten tolle Melodien, aber was man wirklich verinnerlicht, ist ihre Energie.
Haben Sie diesen „Wahnsinn der Kunst“ denn selbst schon einmal verspürt?
Santana: Nein. Klarheit, Einigkeit, Frieden, Harmonie — das sind Kategorien für mich. Wahnsinn und Chaos gehören nicht dazu.
Viele Leute bezeichnen Sie als Genie an der Gitarre. Der amerikanische Bestseller-Autor Anthony Robbins hat mal gesagt, Leidenschaft sei der Ursprung von Genialität. Sehen Sie das ähnlich?
Santana: Natürlich. Aber ich bin auch der Ansicht, dass jeder Mensch in der Lage ist, Kreativität und Genialität zu entwickeln. Leider ist der Glaube daran irgendwann verloren gegangen. Warum sollte das nur Menschen wie Da Vinci, Hendrix und Mozart vorbehalten sein?
Die Schriftstellerin Sue Grafton ist der Meinung, man müsse einen Blick auf die dunkle Seite seiner Natur werfen. Wie sieht Ihre dunkle Seite aus?
Santana: Damit beschäftige ich mich nicht. Das ist Zeitverschwendung. Dunkelheit bedeutet Zweifel, und Zweifel kann niemals Perfektion hervorbringen. Wer an sich zweifelt, der kritisiert Schönheit bereits, bevor er sie erschaffen hat. Die Energie befindet sich beim Licht.
Haben Sie denn neben der Musik auch noch andere Leidenschaften?
Santana: Die Musik steht bei mir an erster Stelle. Aber mit Hilfe der Musik bin ich in der Lage, eine andere Leidenschaft von mir zu realisieren, nämlich Menschen auf der ganzen Welt zu helfen. Ich engagiere mich beispielsweise für die Kinderhilfe, bei der es sowohl um die Ausbildung der Kinder, als auch um grundsätzliche Dinge wie deren Verpflegung und medizinische Versorgung geht.
Bekommen Sie viel Post von Leuten, deren Leben Sie durch Ihre Musik positiv beeinflusst haben?
Santana: Oh ja. Von Leuten, die im Krankenhaus lagen, keinen Lebenswillen mehr hatten und durch meine Songs wieder Kraft geschöpft haben. Sie haben sich plötzlich wieder gespürt und gemerkt, dass sie gebraucht werden. Und wenn jetzt jemand dieses Interview liest, über dem mit großen Buchstaben steht „Carlos Santana sagt: Jeder Mensch ist bedeutsam“, dann wird „Shape Shifter“ ein Erfolg — und zwar nicht nur in kommerzieller Hinsicht.
Musik wird ja gerne mal als „Essen für die Seele“ bezeichnet. Entspricht das auch Ihrer Sicht der Dinge?
Santana: Absolut. Und mit dem Sex ist es genauso. Essen und Sex sind Geschenke, die nicht nur für den Körper, sondern auch für die Seele unerlässlich sind. Und ich schäme mich nicht, das auszusprechen. Liebe machen ist wichtig, denn dadurch wird jedes Molekül deines Körpers bewegt, und dadurch verändern sich die Dinge. Und ein jeder hat es selbst in der Hand, diese Veränderung positiv zu beeinflussen.
Sie machen nicht nur Musik. Auf Ihrer Homepage kann man auch Santana-Handtaschen, -Schuhe und -Hüte erwerben, die, wie es heißt, „Ihre Leidenschaft und Integrität verkörpern“. Besitzen Sie auch eine Leidenschaft für Mode?
Santana: Ich bin davon fasziniert. Aber was viel wichtiger ist: Durch all diese Dinge bin ich in der Lage, Geld zu verdienen, das ich an Universitäten spende, um dafür zu sorgen, dass begabte Menschen aus sozial schwachen Gegenden ihre Abschlüsse machen können. Es gibt junge Leute, die in der Schule tolle Noten haben, denen danach aber das Geld fehlt, um studieren zu können. Ich kann meine Leidenschaft nutzen, um das Ausleben von Leidenschaften anderer Menschen möglich zu machen — das ist doch toll!