James Blake: Der Klang, der Gänsehaut erzeugt
Sein Debüt vor zwei Jahren stärkte den Glauben daran, dass Pop immer noch neue Wege gehen kann. Jetzt kommt James Blake mit seinem zweiten, erneut meisterhaften Album.
Düsseldorf. James Blake hat einen Plan: Er will nicht morgen schon wieder von gestern sein und geht deshalb strategisch vor. War sein erstes Album noch eine Art Song-Collage verschiedener Stilelemente und die Suche nach der eigenen Form, liefert der Londoner mit dem Nachfolger „Overgrown“ nun ein durchweg stimmiges Werk elektronischer Musik.
Und auch Gäste sind diesmal mit dabei. Während ähnlich gefeierte Newcomer-Kollegen auf ihrem Zweitwerk mit allgegenwärtigen Namen Unterstützung für den kommerziellen Chart-Erfolg suchen, zielt die Auswahl von Blake auf künstlerischen Wert und persönlichen Fortschritt: Mit Brian Eno, der schon Hit-Alben wie „The Joshua Tree“ von U2 produzierte und im Großen und Ganzen als Pionier der „Ambient“-Musik gilt, schuf er mit „Digital Lion“ ein schwer zu greifendes Instrumental-Stück.
Auch Hip-Hop-Legende RZA vom Wu-Tang Clan ist mit von der Partie und bereichert das schummrige „Take A Fall For Me“ mit eindringlichem Rap. „Er hat das mit solcher Intimität und Empfindsamkeit getan, dass ich davon eine Gänsehaut bekam“, erzählt der erst 24-jährige Blake dem Portal „MusicFeeds“. Wäre der Versuch der Kollaboration allerdings misslungen beziehungsweise hätte sie nicht homogen ins Gesamtbild des Albums gepasst, „hätte ich es nicht veröffentlicht“, fügt er lachend hinzu.
„Ich bin mir sicher, es gibt jede Menge Kooperationen, die nicht geklappt haben. Man kann nicht einfach etwas veröffentlichen, nur weil man den Namen auf der Platte haben will — so läuft das nicht.“ Um sich selbst erstmal einen Namen zu machen, beschritt der 1988 als Sohn einer Grafikdesignerin und eines Musikers geborene Sänger, Produzent und Songschreiber eine Laufbahn, wie sie in England beinahe schon klassisch ist.
Zunächst: Klavierunterricht. Im Alter von sechs Jahren bekam er ihn von seinen Eltern eher aufgezwungen, als dass er ihn selbst gewollt hätte. Zunehmend fand er allerdings Geschmack daran: „Mir war schon sehr, sehr früh klar, dass es letztlich etwas Gutes sein musste, wenn ich dadurch Fortschritte mache“, sagt Blake über seine musikalische Früherziehung.
Darauf aufbauend erforschte er Genres wie Motown-Soul, Gospel und Jazz und schrieb Musik am Computer. Parallel zu einem Studium der Popmusik am Goldsmiths College lernte er in den 2000er Jahren in diversen Clubs von namhaften DJs das inzwischen zu einer eigenständigen Musikrichtung entwickelte Dubstep kennen — ein Genre, das sich ebenso aus House, Soul und Reggae wie aus elektronischer Tanzmusik speist.
Das kleinere Label Hemlock Records wurde auf Blakes eigene Musik aufmerksam, die über sein DJ-Netzwerk ins Radio kam, und machte eine Single mit ihm: Dem 2009 veröffentlichten Stück „Air And Lack Thereof“ folgte die Cover-Version des Feist-Songs „Limit To Your Love“, auf der er zum ersten Mal sang — ein Durchbruch, der zum Debütalbum führte.
Das Anfang 2011 veröffentlichte Werk „James Blake“ erreichte Platz neun der britischen Charts und verkaufte sich stattliche 400 000 Mal. Noch stärker als der kommerzielle Achtungserfolg wog allerdings die Reaktion der Kritiker. Auf fast allen Jahreslisten einschlägiger Pop-Magazine belegte der unnahbare und trotzdem einnehmende Sound des damals 22-Jährigen die Spitzenpositionen. Kein Wunder, dass Nominierungen für die wichtigsten britischen Musikpreise wie den Mercury Prize und den Brit Award folgten.
Zwei Jahre ist das jetzt her. Eigentlich keine lange Zeitspanne. Aber für Blake änderte sich das Leben radikal: Er traf auf musikalische Vorbilder wie Joni Mitchell, Jay-Z, Kanye West oder Björk und nahm mit Justin Vernon alias Bon Iver das Stück „Fall Creek Boys Choir“ für die EP „Enough Thunder“ auf. Weil er so gefragt war und ununterbrochen in der Weltgeschichte herumreiste, entstanden die Grundrisse fast aller neuen Stücke seines zweiten Albums „Overgrown“ unterwegs: in Flugzeugen und in Hotelzimmern.
Obwohl Blake unüberhörbar das Zeug dazu hat, den einen großen Hit zu schreiben, bleibt er bei seinem Masterplan, Kunst statt Kommerz zu liefern. Sein Geheimnis: Er versucht strikt, seinem Instinkt zu folgen — unter anderem mit der Selbstsicherheit, die ihm Brian Eno mit auf den Weg gab. Und die braucht er auch für seine breit angelegte Musikerkarriere. „Overgrown“ wird dabei nur ein nächster, wenn auch großer Schritt sein.