Jimi Hendrix und die Gitarrenzerstörung
München (dpa) - Ulrich Handl kann sich noch genau erinnern an jenen Abend im Big Apple, einem Club in München, den es längst nicht mehr gibt. „Jimi war sauer, weil sein Name falsch geschrieben war“, erzählt er im Interview der Deutschen Presse-Agentur.
Denn über der Bühne prangte damals der Schriftzug „Jimmy Hendrix Experience“.
Die Wut darüber, so ist es überliefert, ließ Hendrix an seiner Gitarre aus an diesem Abend im November 1966. Es soll das erste Mal gewesen sein, dass der legendäre Musiker, der neben seinem genialen Spiel auch für seine Zerstörungswut auf der Bühne berühmt wurde, eine Gitarre zertrümmerte.
Handl ist sich sicher, dass es der 8. November war, das erste Konzert von mehreren Auftritten in dem Club. Andere Quellen nennen den 9. November. Unklar ist auch, wie teuer der Eintritt damals war. Vier D-Mark oder sieben? Zeitzeugen sind sich da nicht ganz einig.
In jedem Fall sei es kurz vor dem Ende des Konzertes passiert, sagt Handl. Gerade hatte er fotografiert, wie Hendrix mit der Zunge und mit der Lippe spielte. Sein Lieblingsbild von diesem Abend, Hendrix mit der Lippe an den Saiten, trägt er heute noch auf dem T-Shirt.
„Ich hatte mich gerade auf den Rückweg in die Garderobe gemacht“, erinnert er sich. „Dann habe ich gehört, dass es nochmal Lärm gab - zusätzlichen Lärm. Und dann hat er mit dem Rücken zum Publikum die Gitarre in den Verstärker reingehauen. Dann hat er sich umgedreht, die Gitarre am Hals gepackt und sie auf den Boden gestoßen - so lange, bis der Hals abgebrochen war.“
Dann habe Hendrix die Gitarre auf den Boden geworfen und sei über die Bühne gesaust. Den Moment des Sausens hat Handl noch im Bild festgehalten, den legendären Moment kurz zuvor hat er verpasst. „Wie es halt so ist.“ Dafür traf er Hendrix kurz danach in der Garderobe. „Er war völlig unsicher und hat mich gefragt: War das in Ordnung?“ Die Begeisterung im Publikum habe ihm gefehlt. „Aber wir waren alle konsterniert. Wir hatten so etwas ja noch nie gesehen. Es war einfach unglaublich.“
„Um diesen Abend ranken sich viele Mythen“, sagt die Kulturhistorikerin Angelika Möller vom Amerika-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Hendrix' Manager Chas Chandler soll im Anschluss an das legendäre Münchner Konzert vorgeschlagen haben, dass Hendrix die Gitarrenzerstörung zu seinem Markenzeichen machte.
Von der „Stilisierung des wilden Mannes“ spricht der Münchner Musikjournalist Ernst Hofacker, der gerade das Buch „1967 - Als Pop unsere Welt für immer veränderte“ auf den Markt gebracht hat. Einzigartig war das Ganze auch damals allerdings nicht. „Er fügt sich damit eigentlich in den Trend der Zeit ein, denn er war ja nicht der einzige Künstler, der in dieser Zeit auf der Bühne Gitarren zerstört. Es hat etwas Rebellisches, es spricht den Zeitgeist an“, sagt Möller.
Pete Townshend von „The Who“ war vor Hendrix dran - und Jeff Beck von den Yardbirds auch. Und noch früher, sagt Hofacker, sei der Country-Sänger Ira Louvin in den 1940er Jahren auf die Idee gekommen: „Der muss ein Extrem-Choleriker gewesen sein. Wenn seine Leute seine Mandoline nicht richtig gestimmt haben, hat er die auf der Bühne gerne kurz und klein gehauen. Spinner gab es in der Beziehung schon immer.“
Doch Hendrix perfektionierte den Zerstörungsakt. „Noch ikonischer wird es im Folgejahr, wenn er eine Gitarre live auf der Bühne verbrennt“, sagt Möller. Hofacker spricht von einer „fast rituellen Verbrennung“, damals auf dem Monterey Pop Festival von 1967. „Da wurde das Ganze zum Mythos.“ Rund 40 Jahre später, im Jahr 2008, wurde eine angebrannte Gitarre von Hendrix in London für umgerechnet 345 000 Euro versteigert.
Auch später bleibt das Zerschlagen von Gitarren oder anderen Instrumenten fester Bestandteil einer Gegenkultur. Es geht weiter mit Led Zeppelin, Deep Purple, diversen Punkbands, The Clash und in den 1990er Jahren mit der Grunge-Bewegung und ihrem Frontmann Kurt Cobain (Nirvana). „Die haben das teilweise inflationär betrieben“, sagt Möller. „Die zornigen jungen Männer“, sagt Hofacker.
Heute gehen bei Rockkonzerten zwar immer noch hier und da Instrumente zu Bruch, etwa bei Matthew Bellamy von Muse, der im Guinness-Buch der Weltrekorde steht, weil er 140 Gitarren bei einer einzigen Tour auf dem Gewissen hat. Oder bei den Punkern von Green Day.
Die Faszination von früher aber hat die Aktion längst verloren. „Da stehen sie alle vor der Bühne und gähnen und sagen: Das hat der Hendrix vor 50 Jahren schon gemacht“, sagt Hofacker. „Es wirkt aufgesetzt“, sagt Möller. „In den 1960er Jahren war es Ausdruck einer Protestkultur. Heute müsste man die Bands fragen: Wogegen protestiert Ihr denn noch?“
Und noch einen ganz anderen Grund gebe es dafür, dass der Zerstörungsakt inzwischen etwas aus der Mode gekommen zu sein scheint: „Viele junge Bands zerstören schlicht aus Kostengründen keine Gitarre mehr“, sagt Möller. „So eine Gitarre ist einfach wahnsinnig teuer.“
Neben Handls zahlreichen Bildern zeugt noch ein Autogramm von dem legendären Abend. Der Fotograf zeigt es gerne und stolz: „To Ulli BestBest Wishes“, hat Hendrix geschrieben. Bei den folgenden Konzerten in München sei der Musiker übrigens sehr viel lockerer gewesen, sagt Handl. Ob das vielleicht daran liegt, dass er dort Kommunardin Uschi Obermaier kennenlernte, ist nicht überliefert. „Irgendwann sind die dann zusammen ins Hotel“, erinnert Handl sich. „Der Rest ist Geschichte.“