Joan Wasser: Ab jetzt nur noch die erste Geige
Der 40. Geburtstag war für Joan Wasser kein Grund, Trübsal zu blasen. Lieber ersann sie mit ihrer Band Joan as Police Woman neue Songs.
Düsseldorf. Bevor ein Missverständnis aufkommt: Auf „The Deep Field“ geht es um nichts Geringeres als die Suche nach dem Sinn des Lebens. Dass Joan Wasser sich damit beschäftigt, ist durchaus berechtigt. Im vergangenen Jahr wurde sie 40. Für viele ein Grund, sich gesellschaftlich abzuhaken. Wasser hingegen konnte ihren runden Geburtstag kaum erwarten: „Ich neige dazu, Veränderungen mit offenen Armen zu empfangen.“ Beispielsweise mit einem neuen Album. Dem vielleicht besten, das sie bisher mit ihrem Bandprojekt Joan as Police Woman abgeliefert hat.
Und um noch einem Missverständnis vorzubeugen: Obwohl die Entstehungsphase der zehn neuen Songs von einigen persönlichen Tiefschlägen überschattet war, ist es kein selbstvergessener Weltschmerz, der aus Wassers Musik spricht. Ihr Ansatz ging einen Schritt weiter: „Ich habe kein Interesse, mich in meinem Kummer zu suhlen“, sagt sie. „Schon gar nicht, wenn ich eigentlich tanzen könnte.“ Das ist in ihrem Fall kein leicht dahin gesagter Kalenderblattspruch. Ihre Mutter starb im vergangenen Jahr an Krebs, mehrere Beziehungsanläufe scheiterten. Nicht zuletzt hallt bei Wasser auch immer noch der tragische Tod ihres damaligen Freundes, des Musikers Jeff Buckley („Hallelujah“), nach, der 1997 im Alter von 33 Jahren in einem Nebenfluss des Mississippi ertrank.
Je mehr das Leben der Wahl-New-Yorkerin genommen hat, desto intensiver möchte sie es erleben. „I’m Looking For the Magic“, singt sie auf der ersten Single-Auskopplung „The Magic“ — wissbegierig und bereit, neue Erfahrungen zu machen. „Dass mein Denken letztlich meine Wirklichkeit bestimmt, habe ich erst kürzlich begriffen“, räumt sie ein. „Seitdem kriege ich plötzlich viel mehr vom Kuchen ab und nehme alles viel bewusster wahr, weil ich mich aus meinem gewohnten Umfeld und meiner Bequemlichkeit heraustraue.“
Die angeblich späte Einsicht klingt kokett, wenn man bedenkt, dass Wassers Werdegang alles andere als zaghaft war: Mit acht setzte sie durch, Geige statt Klavier zu lernen. Verfeinert wurde ihr Können an der Boston University von Yuri Mazurkevich, einem Schüler des Jahrhundert-Geigers David Oistrach.
Ausgerechnet als Violinistin in den von schrammeligen Bassläufen und schrägen Gitarren dominierten Indie-Bereich vorzustoßen, stellte sich als richtige Entscheidung heraus: Wasser wurde eine gefragte Gastmusikerin — ob für Elton John, die Scissor Sisters oder Lou Reed. Nicht zuletzt war sie auch mehrere Jahre Mitglied von Antony Hegartys Johnsons. Rückblickend war das musikalisch vielleicht ihre wichtigste Phase, weil sie sich in diesem Künstlerkollektiv zur Multiinstrumentalistin und Sängerin fortentwickelte.
Mit „The Deep Field“ veröffentlicht Wasser nun bereits ihr drittes Album als Joan as Police Woman. Der sperrige Bandname ist Wassers Antwort auf den immer wieder angestellten Vergleich mit US-Schauspielerin Angie Dickinson, die ihren größten Erfolg von 1974 bis 1978 in der Krimiserie „Police Woman“ feierte. Im Deutschen war der Titel klamaukiger und lautete: „Mit Make-up und Pistolen“. Tatsächlich war es aber gerade die realistische Schilderung des harten Polizeialltags, die die Sendung zum Kritikerliebling werden ließ. Dickinson verkörperte die Kommissarin unterkühlt und burschikos. Wer Joan Wasser zum ersten Mal sieht, dem kommen ähnliche Adjektive in den Sinn.
Auch ihre Songs klingen nicht unbedingt einladend, wahrscheinlich, weil sie zu komplex sind: Die Akkordfolgen schlagen immer wieder Haken, die verblüfft staunen lassen, wie vielseitig eine Melodie sein kann, ohne dabei anzustrengen. Über den von Blues, Soul und minimalistischem Post-Punk getragenen Kompositionen und Arrangements schwebt Wassers Stimme — ätherisch und eindringlich.
Pop-Unikum Rufus Wainwright bemerkte als Erster ihre Bühnenpräsenz und förderte ihre Solo-Karriere, indem er sie und ihre Band ab 2004 als Vorgruppe auftreten ließ. Für Wasser bedeuteten die ersten Gigs eine Überwindung. „Es ist schockierend, wenn man sich das erste Mal singen hört“, erinnert sie sich in einem Interview mit der BBC. „Es hat lange gedauert, bis ich mich an meine Stimme gewöhnt hatte.“
Mittlerweile klappt es. Zwar gibt sie oberflächlich weiter die Unnahbare, aber unterschwellig spürt man in ihren Songs die Lebenslust, mit der Wasser auf das Leben jenseits der 40 wartet.