Jubel auch für Castorfs „Walküre“
Bayreuth (dpa) - Auch im dritten Jahr von Frank Castorfs „Ring des Nibelungen“-Inszenierung in Bayreuth fällt seine „Walküre“ aus dem Rahmen. Kaum zu glauben, dass der Regisseur, der das grellbunte Tankstellen-„Rheingold“ und den Kalaschnikow-„Siegfried“ auf dem Gewissen hat, auch für diese Produktion verantwortlich zeichnet.
Der zweite Teil von Richard Wagners Vierteiler ist in Castorfs Version, die in einer düsteren Ölförderanlage in Aserbaidschan spielt, erstaunlich konventionell geraten - daran ändern auch zwei lebende Truthähne im Käfig und eine Göttergattin Fricka mit Domina-Reitgerte (Kostüme: Adriana Braga Peretzki) nichts.
Es hat schon seinen Grund, warum die „Walküre“ die Inszenierung im Castorf-„Ring“ ist, an der das Bayreuther Publikum von Anfang an den wenigsten Anstoß nahm. Im Gegensatz zum „Rheingold“ ist im zweiten Teil zumindest nachzuvollziehen, worum es in der Wagner-Oper geht: die Geschwisterliebe zwischen Siegmund und Sieglinde und den Verstoß der dem Paar zur Hilfe eilenden Walküre Brünnhilde durch ihren Vater Wotan.
Castorf hindert die Sänger nicht daran, diese Geschichte zu erzählen - und zwar so geradlinig, wie es durchaus untypisch ist für den als Werkzertrümmerer geltenden Regisseur. Allerdings hat er selbst dieser Geschichte auch nicht viel hinzuzufügen - abgesehen von der für seine Inszenierungen typischen Drehbühne (Aleksandar Denic), den Übertragungen von Nebenkriegsschauplätzen auf die große Leinwand und beliebig wirkenden Bildern russischer Ölbohrungen.
So bleibt die „Walküre“ Castorfs wohl verständlichster Beitrag zum „Ring“ - und gleichzeitig der, in den er am wenigsten Arbeit hineingesteckt zu haben scheint, zu dem ihm noch nicht einmal kleine Spielereien eingefallen sind. Eine Ausnahme bildet allerdings der gut durchchoreografierte Walküren-Ritt. Die Männer auf der Bühne werden dabei schon durch den bloßen Anblick der beeindruckenden und üppigen Erscheinungen niedergestreckt.
Ansonsten bleiben die Sänger weitgehend auf sich allein gestellt und haben Raum für durchaus klassische Interpretationen ihrer Rollen. Applaus gibt es dann auch für alle Sänger - von Catherine Foster als Brünnhilde und Wolfgang Koch als Wotan bis hin zu Johan Botha als Siegmund und Anja Kampe als Sieglinde.
Besonders das Liebespaar wird gefeiert, obwohl die beiden und vor allem ihr großer Liebeskracher „Winterstürme wichen dem Wonnemond“ am Ende des ersten Aktes in den vergangenen Jahren in Bayreuth schon deutlich überzeugender zu sehen waren.
Die quirlige, jugendhafte Sieglinde von Kampe und Bothas überaus statischer Siegmund harmonieren in diesem Jahr nicht ganz so gut, und auch stimmlich scheinen die beiden streckenweise mit angezogener Handbremse zu fahren - ganz im Gegensatz zu Foster, die als Bayreuther Brünnhilde immer besser wird.
Kampe hätte in diesem Jahr eigentlich auch die Isolde in Katharina Wagners „Tristan“-Neuinszenierung singen sollen, wurde aber kurzfristig und ohne öffentliche Angabe von Gründen durch Evelyn Herlitzius ersetzt. Im kommenden Jahr werden sie und Botha auch das Liebespaar in der „Walküre“ nicht mehr singen. Dann übernehmen Jennifer Wilson und Christopher Ventris.
Im kommenden Jahr wird ohnehin kaum noch ein Sänger aus der Ursprungsbesetzung im „Ring“ singen, wie die Festspiele mitteilten. Kochs Wotan-Rolle teilen sich dann Iain Paterson („Rheingold“) und John Lundgren („Walküre“).
Besonders bitter für viele Wagner-Fans: Dirigent Kirill Petrenko gibt die musikalische Leitung auch ab. Marek Janowski übernimmt. Nach der „Walküre“ in diesem Jahr ist Petrenko aber noch der unumstrittene Star im Ring und wird erneut begeistert gefeiert. Am Mittwoch machen die Festspiele erstmal Pause. Weiter geht es an diesem Donnerstag mit dem „Siegfried“, in dem die Hauptrolle diesmal von Stefan Vinke gesungen wird. Er übernimmt von Lance Ryan, der sich nach Angaben seines Managements mit den Festspielen nicht auf einen neuen Vertrag einigen konnte. Im vergangenen Jahr war er von Teilen des Publikums ausgebuht worden.
Neu-Siegfried Vinke sagte dem „Mannheimer Morgen“, er habe inzwischen auf alle Fragen, die er zunächst an Castorfs „Ring“ hatte, plausible Antworten gefunden. „Ich denke, dass Castorf gar nicht so sehr abweicht von anderen: Die Schalt- und Umschaltstellen, die Gefühlswelt der Protagonisten, Aktion und Ruhephasen während der Szenen sind so wie meistens“, sagte er der Zeitung - und: „Es ist eine Regie, über die man viel diskutieren kann, weil sie vieles bietet.“