Rezension Kante: Theatermusik aus der „Zuckerfabrik“

Berlin (dpa) - Kante, eine der besten deutschen Rockbands, ist wieder da. Eigentlich war sie aber nie weg - nur woanders: Das Hamburger Quintett machte sieben Jahre lang Theatermusik. Eine Bilanz dieser etwas anderen Bühnen-Phase zieht nun das sechste Studioalbum.

Wer Neues von Kante hören wollte, musste in den vergangenen Jahren das Wiener Burgtheater, das Staatsschauspiel Dresden oder die Schaubühne Berlin aufsuchen. Dort und auch anderswo spielte die Band der „Hamburger Schule“ um Tocotronic, Blumfeld und Die Sterne ihre stilistisch weit ausgreifende Rockmusik für Inszenierungen nach Dostojewski, Goethe, Brecht, Sophokles oder Handke. Kante-Frontmann Peter Thiessen sang dazu Texte der Bühnenklassiker oder seine eigene Fassung von Voltaire-Gedichten.

Eines aber änderte sich nicht: die beeindruckende Qualität der Songs und des Sounds von Kante - jetzt nachzuhören auf dem Album „In der Zuckerfabrik“. Es versammelt 15 Lieder, die das Quintett seit 2007 auf Theaterbühnen präsentierte - als wichtiges Element von Aufführungen der Regisseurin Friederike Heller.

Für Kante-Fans, die nach den großen deutschsprachigen Rock-Platten „Zombi“ (2004) und „Die Tiere sind unruhig“ (2006) lediglich ein simples „Weiter so“ erwartet hatten, dürften die Stücke nicht immer leicht verdaulich sein. Aber es lohnt definitiv, sich die Bühnen-Songs zu erarbeiten.

Schon der von Voltaires „Candide“ (1759) inspirierte Opener „Lied von der Zuckerfabrik“ ist harter, politisch hochaktueller Stoff: die bittere Klage eines Sklaven, der den Zusammenhang zwischen brutaler Unterdrückung in seiner Welt und dem Wohlstand in Europa herstellt. „Dieser Sklave weist das wohlmeinende Berührtsein, das bequeme Gutmenschentum eines Europäers von sich - was ich als sehr modern empfinde“, sagt Thiessen im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Musikalisch ist der Song typisch Kante: treibend, wuchtig, intensiv, experimentierfreudig - besser kann deutsche Rockmusik kaum sein.

Neben zarten Piano-Balladen („Der Tag verging“), einer grandiosen Beach-Boys-Hommage („Donaudelta“) und jazzig-schrägen Liedern, die sich bei Brecht-Komponisten wie Paul Dessau oder Kurt Weill bedienen, haben Kante während ihrer Theater-Zeit auch exotische Klangfarben entdeckt.

In „Das Erdbeben von Lissabon“ unterlegt die Band Thiessens apokalyptische Visionen mit einem Afrobeat-Groove, der aktuelle Sounds aus Mali verarbeitet. „Das ist eine der interessantesten Musiken der letzten zehn Jahre, was da von den Tuareg gemacht wird“, schwärmt der Sänger.

„Zuckerfabrik“ ist - acht Jahre nach der Friedrichstadtpalast-Platte „Kante Plays Rhythmus Berlin“ - eine Art Comeback. Und ein durchaus riskantes Neustart-Projekt - vielleicht zu ambitioniert für ein breites Publikum? „Ach, wir sind keine besonders strategisch denkende Band“, sagt Thiessen. „Wir machen immer das, worauf wir gerade Lust haben. Jetzt hatte sich eben angeboten, diese Songs gebündelt herauszubringen.“

Und dass man nunmal Lieder für anspruchsvolle Hörer mache, will er gar nicht erst abstreiten. Kante sei „keine intellektuellenfeindliche Band. Ich habe großen Spaß, mich auch mit komplizierten Sachen auseinanderzusetzen.“

Ein weiteres Album, das dann womöglich wieder stärker an den klassischen Kante-Sound anknüpft, hat Thiessen auch bereits auf dem Zettel. „Im Frühjahr mache ich mit (Schlagzeuger) Sebastian Vogel noch „Dantons Tod“ in Dresden. Den Rest des Jahres haben wir uns freigehalten, um wieder an einer Platte zu arbeiten. Mal sehen, wie schnell wir voran kommen, ob wir dieses Jahr noch ins Studio gehen.“

Für erste Sessions trafen Kante im vorigen Sommer mit dem britischen Top-Produzenten Pete Walsh (Peter Gabriel, Simple Minds, Scott Walker) zusammen. „Es gibt schon eine Festplatte voll mit so Zeug“, sagt der Band-Boss norddeutsch-nüchtern über den ersten Schritt.

Angesichts von gerade mal sechs Studioalben in 17 Jahren sollten die Fans wohl eher nicht auf einen Schnellschuss der fünf Perfektionisten hoffen. Aber immerhin: Kante lebt - nicht nur fürs Theater.