Kanye West stellt „Yeezy“-Kollektion und neues Album vor

New York (dpa) - Im Madison Square Garden herrscht Dunkelheit, als die erstes Fans zu ihren Sitzen strömen. Nur ein paar Strahler zielen mit weißen Lichtkegeln ins Nichts, Menschen murmeln, beobachten die Konturen einer großen Stoffplane im Herzen der Halle.

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Geheimnisvoll wölbt sich das braungoldene Tuch, man meint, menschliche Umrisse zu erkennen, und dann wieder nicht. Dampf steigt auf. Unter dem Stoff, das wissen alle, wartet der jüngste Streich von Kanye West.

Einige drehen schon durch, bevor es überhaupt soweit ist. An improvisierten Buden der Mehrzweckhalle, wo sonst Basketball- und Eishockeyfreunde ihre Teams anfeuern, bilden sich lange Schlangen. Es gibt bedruckte Kurz- und langärmlige T-Shirts, rote und blaue Kapuzenpullover, Mützen, alles frisch und exklusiv zur heutigen Show.

„Könnt Ihr dieses Zeug nicht im Internet kaufen?“, fragt eine Aufseherin ins Gedrängel. „Nope!“, antwortet ein Großer, der schon ein Bündel Dollarscheine gezückt hat. Cameron Pillarella kommt zufrieden mit einer Plastiktüte vom Schalter. „Ich habe alles gekauft. Ich liebe Kanye West.“ Wirklich gesehen hat der 16-Jährige die Sachen beim Kauf nicht. Bezahlt hat er rund 500 Dollar.

Doch Geld spielt heute keine Rolle. Kanye Omari West ist da, der Rapper, Produzent, Modedesigner und Unternehmer. Der Mann, der sein letztes Album „Yeezus“ nannte und bei einem Konzert in Seattle einen barfüßigen Bärtigen in weißer Robe auf der Bühne erscheinen ließ. Nach drei Jahren Warten, endlosem Gerede um den Titel der neuen Platte und einem Hype, der durch die in New York laufende Fashion Week nur noch vergrößert wird, wurde es auch höchste Zeit.

Seine Diva Kim schickt er noch vor, im weißen Pelz, samt Töchterchen North West, den weltberühmten Kardashian-Schwestern, Caitlyn Jenner und Tochter Kendall, Ex-Basketballstar Lamar Odom. Handy-Displays schießen in die Höhe, sehr weit entfernt vom Glamour in Reihe Eins. Und dann bahnt der Mann mit dem Baseballcap sich den Weg zum Mischpult, mit erhobenen Armen, immer am Kegel des Scheinwerfers entlang. Die braune Stoffplane ist wie die Aufregung vieler der 20 000 Besucher zu einem flattrigen Ungetüm herangewachsen.

„Ultra Light Beams“ wummert durch die Halle. Hinter dem 38-Jährigen stehen große Männer, wippen, pumpen in die Luft, klatschen ab. Als Kanye und seine Kumpels aus dem Kopfnicken schon nicht mehr herauskommen, als Grasgeruch sich in die Publikumsreihen legt, ziehen Helfer das breite Tuch beiseite: Hunderte stehen dort in Formation, regungslos, ausdruckslos, eingesperrt in einer Art Zaun aus Stoff. Sie tragen die schlicht geschnittenen, erdtonfarbenen Stücke der Yeezy“-Kollektion. Keine Bewegung, kein Laufsteg, keine Choreografie. Und mittendrin: die Topmodels Naomi Campbell und Veronica Webb.

Kanye hat wieder mal alles anders gemacht - vielleicht aus Trotz, vielleicht aus Dummheit, vielleicht, weil er ein Meister der Selbstinszenierung ist. Vielleicht will er etwas sagen, indem er Hunderte afroamerikanische Statisten aufreiht, indem er Teenager mit Kapuze über dem Kopf die rechte Faust über dem Kopf ballen lässt. Man denkt an ein Flüchtlingslager, an Black Lives Matter, die schwarze Bürgerrechtsbewegung in den USA. Die Kameras senden jetzt live, ins Internet, im Streamingdienst Tidal, in über 700 Kinos in 23 Ländern. 20 Millionen Menschen sind zugeschaltet, die Leitung ächzt.

Aber da war ja noch dieses gewaltige Ego des Mannes, der sich nach eigener Aussage vom Hip-Hop abgekehrt hat und in einer Reihe mit Jimi Hendrix, den Rolling Stones und den Beatles genannt werden will. „Was wenn Kanye einen Song über Kanye machen würde / Der 'Ich vermisse den alten Kanye' heißt“, rappt er. „Mann, das wäre so Kanye, das war alles Kanye / Wir lieben Kanye immer noch und ich liebe Euch wie Kanye Kanye liebt.“ Die Hauptaussage bleibt: Kanye selbst.

Und vielleicht hat er es genau damit wieder geschafft, als verhasstes und vergöttertes und irgendwie unberechenbares Nonplusultra der Welt von Rap und Entertainment. Der Fashion Week, so viel steht fest, hat Kanye die Schau gestohlen. Und als sei das nicht genug, kündigt er nebenbei noch ein Videospiel namens „Only One“ an. Thema: Der Weg seiner verstorbenen Mutter in den Himmel.

Matthew Schneider, der 190 Dollar für einen Kapuzenpullover und zwei T-Shirts bezahlt hat, versucht noch, den aufgedruckten Text zu entziffern. „Mir nur...“, überlegt er laut, „mir auf... was heißt das?“ Pause. „Ich auf einem Ultra-Lichtstrahl. Dies ist ein Gottestraum.“ Hauptsache, er hat ein paar Teile abgegriffen. „Das Zeug wird nur so von der Stange gerissen. Und wenn ich es nicht mag, kann ich es für den zehnfachen Preis verkaufen.“