Karl Bartos rechnet ab

Mit der neuen CD „Off The Record“ will sich der Künstler von seiner alten Band Kraftwerk absetzen.

Hamburg. Für ein ehemaliges Mitglied der Band Kraftwerk — die mit synthetischer Musik den Pop umkrempelte und zu Kunst wurde — hat sich Karl Bartos einen seltsamen Ort ausgesucht, um über sein neues Leben zu reden: Die alten Kraftwerk-Kollegen geben derzeit Konzerte in großen Museen.

Bartos dagegen sitzt am abgewetzten Holztisch des „Golden Pudel Club“, einer Kneipe am Hamburger Fischmarkt, und löffelt Kohlsuppe. Es ist, als wolle er auch 23 Jahre nach seinem Ausstieg aus der Band deren tonnenschwerem Mythos entfliehen.

Die Flucht begann vor Jahren, als Bartos von Düsseldorf in den Norden zog: Raus aus der feinen Modestadt, rein in die raue Seehafen-Metropole. Alle Zelte abbrechen und weg. Das war durchaus eine Art Abrechnung.

Eine Abrechnung mit der Vergangenheit ist auch das Solo-Album „Off The Record“ (15. März). Es ist Bartos’ erstes Lebenszeichen nach der Platte „Communication“ (2003). Und überhaupt erst sein zweites Lebenszeichen seit dem Bruch mit Kraftwerk.

Er habe ein „gespaltenes Verhältnis“ zu seiner Kraftwerk-Zeit, sagt Bartos, der sich in den vergangenen Jahren viel mit audiovisueller Kunst beschäftigte und als Produzent tätig war. Einerseits sei es ja nicht „das Schlechteste der Welt“ gewesen, all diese Hits mitgeschrieben zu haben. Andererseits falle es ihm seit damals „unheimlich schwer“, etwas Eigenes zu schaffen, das mithalten könne mit dem schier übermächtigen Kraftwerk-Katalog.

Dieses Dilemma sehe man ja bestens an den alten Kollegen: „Die dürfen nichts riskieren, um sich nicht der Lächerlichkeit preis zu geben.“ Es folgt die Erkenntnis: „Vielleicht brauchte ich über zwei Jahrzehnte, um all das künstlerisch zu verarbeiten.“

Den Ballast des schweren Erbes versuchte Bartos unter anderem mit einer Professur an der Berliner Universität der Künste in der Fachrichtung „Auditive Medien“ zu zerschlagen. Zwischen 2004 und 2009 war das. „Da habe ich das Thema Kraftwerk komplett ausgeblendet“, sagt er. Irgendwann interessierte ihn die moderne Popmusik nicht mehr, weil es in der nur noch um Zitate gehe: „Es gibt keine eigenen Gedanken, keine Botschaft mehr.“

Und doch wurde ihm die Ablenkung von der Musik irgendwann zu viel: „Ich fing plötzlich an, beim Spazierengehen im Geiste professoral vor mich hinzulabern“, erinnert er sich. Das sei der Wendepunkt gewesen, an dem er wieder Lust bekam, selbst Musik zu machen. Er sichtete sein eigenes Archiv. Er extrahierte die besten Beats und Melodien, baute sie zu zwölf neuen Songs zusammen. Kraftwerk werden namentlich im Beiheft zur neuen Platte nicht erwähnt.

Gleichzeitig aber ist „Off The Record“ eine Sammlung von Anspielungen auf die Über-Band: Und ähnlich wie die Klassiker „Die Roboter“ oder „Das Model“ klingen auch viele der neuen Lieder. Das Cover der Platte ziert zudem ein junger Bartos-Roboter im Kraftwerk-Stil. Es scheint, als sei Bartos mit sich im Reinen.

Er hatte Kraftwerk 1990 auch deshalb verlassen, weil die Band nichts Neues mehr zustande brachte, weil sie nur noch Altes verwaltete. Und so klingt Bartos sehr zufrieden, wenn er jetzt im „Golden Pudel Club“ über Kraftwerk sagt: „Sollen die mal schön im Museum bleiben. Ich mache eine neue Platte.“