Kevin Morby: Singende Sägen und schöne Songs
Berlin (dpa) - Ein neuer Bob Dylan - wieder mal? Ein junger Leonard Cohen - im Ernst? Man kann nur hoffen, dass der aktuelle, mit Kritiker-Topnoten angeheizte Hype nicht zum schweren Mühlstein für den hoch veranlagten US-Songschreiber Kevin Morby (28) wird.
Denn sein drittes Soloalbum „Singing Saw“ (Dead Oceans/Cargo) rechtfertigt durchaus auch ehrenvolle Vergleiche mit den großen Alten der Zunft. Nur der Vollständigkeit halber: Lou Reed wird ebenfalls genannt zur Einordnung des jungenhaften Amerikaners, der zunächst bei den Indie-Rockbands Woods und The Babies mitmischte, um dann bald Solopfade einzuschlagen.
Die beiden ersten Morby-Platten „Harlem River“ (2013) und „Still Life“ (2014) waren bei all ihrer Slacker-Schluffigkeit beachtliche Talentproben eines unabhängigen Kopfes, blieben aber noch unter dem Radar. „Singing Saw“ spielt nun in puncto Reife, Raffinesse und Relevanz in einer ganz anderen Songwriter-Liga - der Entwicklungsprozess des Ex-Provinzlers aus Kansas ist beeindruckend.
Denn Morby, der kürzlich von New York nach Los Angeles umzog und diese beiden Gegenpole der USA auch in seinen neuen Songs verarbeitet, schraubt hier mit Freunden aus der US-Indie-Szene ein äußerst ambitioniertes Singer-Songwriter-Album zusammen. Ein Opus magnum, wie es auch in Zeiten des Indie-Folk-Booms sehr selten ist.
Dem zart-verhaltenen Opener „Cut Me Down“ (mit der titelgebenden Singenden Säge, einem per Geigenbogen zum Klingen gebrachten Fuchsschwanz) folgt „I Have Been To The Mountain“, einer der besten Protestsongs der vergangenen Jahre - was Musikkritiker sogleich zu den Dylan-Referenzen inspirierte.
Zu Gospelchören und Mariachi-Bläsern beklagt der Sänger mit nasalem Bariton das Schicksal des 2014 durch Polizeigewalt zu Tode gekommenen schwarzen Amerikaners Eric Garner - als ein Beispiel unter viel zu vielen. „Der Track ist ein Lied für alle, denen etwas Böses passiert ist, und gegen das sinnlose Töten, besonders in letzter Zeit“, sagt Morby. Auch das Titelstück, ein psychedelischer Folkrock-Mahlstrom, und die wunderbare Streicherballade „Drunk And On A Star“ stellen Morbys erstaunliche Kompositionskunst ins Schaufenster.
Die Singende Säge, gespielt vom Quilt-Bandmitglied John Andrews, verleiht mehreren Songs eine leicht gruselige Atmosphäre. „Das ist ein so unglaubliches Instrument“, schwärmt Morby im Interview des Magazins „Uncut“. „Weil es eigentlich für einen ganz anderen Zweck gemacht wurde, und dann holten die Leute da auf einmal Musik raus.“ Die Sounds der Säge begleiteten den Songwriter bei inspirierenden Spaziergängen durch den ländlichen L.A.-Stadtteil Mount Washington.
Zweites prägendes Element dieses herausragenden Indie-Albums: das omnipräsente Klavier. Morby kam darauf, weil der Vormieter seiner neuen Westcoast-Bleibe ein altes Piano zurückgelassen hatte. Das anfängliche Geklimper führte schließlich zu subtilen Klavier-Liedern wie „Destroyer“, das von einem Frauentrio um die Songwriter-Kollegin Hannah Cohen mit spukigen Backing-Vocals untermalt wird.
Auch die zweite Albumhälfte von „Singing Saw“, mit dem aufgekratzten Folk-Walzer „Water“ zum Abschluss, bietet das gleiche Bild: kein einziger Fehltritt. „Ich spürte diesen Moment tiefer Liebe zur Musik, und ich denke, das kann man hören“, sagt Kevin Morby. Hype-Verdacht hin oder her - ja, dieser junge Singer-Songwriter weckt tatsächlich schönste Hoffnungen.
Im Mai kommt Kevin Morby für zwei Konzerte nach Deutschland: 9.5. Berlin, Lido; 14.5. Hamburg, Molotow