Kraftwerk in der Neuen Nationalgalerie
Berlin (dpa) — Über die Leinwand sausen VW-Käfer und Mercedes-Limousinen durch eine knallgrüne deutsche Wirtschaftswunder-Landschaft.
Davor stehen vier Männer gehobenen Alters in engen schwarzen Einteilern vor leuchtenden Pulten. Und aus den Lautsprechern schallt es: „Wir fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn.“
Die vier Männer nennen sich „Audio- und Video-Operatoren“. Zusammen heißen sie Kraftwerk und sind die wohl einflussreichste deutsche Band der Popgeschichte. Am Dienstagabend spielen die Urväter des Elektropop und Techno das erste von acht Konzerten in der Neuen Nationalgalerie in Berlin, bevor der berühmte Museumsbau in der Nähe des Potsdamer Platzes mehrere Jahre lang saniert wird.
Es ist nicht der erste Kraftwerk-Auftritt in einem Museum. Die Düsseldorfer Avantgarde-Künstler haben schon das Museum of Modern Art in New York und die Kunstsammlung NRW in ihrer Heimatstadt bespielt. Trotzdem wird die Band um das letzte verbliebene Gründungsmitglied Ralf Hütter immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt.
Wegen der strengen Berliner Lärmschutz-Bestimmungen mussten die Konzerte kurzfristig um eine Stunde auf 20 Uhr vorverlegt werden. Bedenken gab es auch wegen der Akustik im Inneren des Museumsbaus. Die Nationalgalerie ist ein Glaskasten mit schwerem Stahldach und deswegen nicht gerade für akustische Meisterleistungen geschaffen.
Aber es funktioniert: Der Sound in dem transparenten Museums-Quader geht völlig in Ordnung. Und auch sonst passen Band und Galerie bestens zusammen. Das von Mies van der Rohe - einem der bedeutendsten Architekten der Moderne - erbaute Museum wurde 1968 eröffnet. Im selben Jahr gründete der heute 68-jährige Hütter zusammen mit Florian Schneider die Band Organisation, aus der zwei Jahre später Kraftwerk wurde.
Obwohl die Architektur van der Rohes und die Musik Kraftwerks fast 50 Jahre alt sind, haben beide von ihrer Modernität nichts eingebüßt. Kraftwerk war seiner Zeit schon immer ein paar Schritte voraus. Das Album „Computerwelt“ prophezeite 1981, wo wir heute stehen. Und „Radio-Aktivität“ erschien 1975 — elf Jahre vor der Katastrophe von Tschernobyl. „Stop Radioaktivität“ und „Fukushima“ flimmert jetzt über die Leinwand, wenn Kraftwerk den Titel-Song des Albums spielt.
Jeder der acht Konzert-Abende ist einem der bedeutendsten Alben der Band gewidmet - am ersten Abend war es „Autobahn“ von 1974. Zusätzlich wird eine Auswahl der bekanntesten Songs von „Das Model“ bis „Die Roboter“ geboten. Nach dem letzten Konzert „Tour de France“ am 13. Januar wird die Neue Nationalgalerie endgültig für mehrere Jahre schließen.
Kraftwerk gönnt sich dagegen keine Pause. Noch im Januar tritt die Band mit ihrer Konzertreihe in Amsterdam auf, im Februar in Kopenhagen. Ganz gemäß einem der Grundmotive ihrer Musik: Immer in Bewegung bleiben.