Lloyd Cole erweitert seine Meisterwerk-Bilanz

Berlin (dpa) - Mindestens drei zeitlose Meisterwerke hat Lloyd Cole bisher hinterlassen. Mit dem neuen Album „Standards“, das dem Titel zum Trotz fast nur eigenes Material enthält, fügt er dieser Bilanz ein weiteres Highlight hinzu.

„Rattlesnakes“, das Debüt von Lloyd Cole & The Commotions, etablierte den Briten 1984 gleich mit einer Gitarrenpop-Scheibe für die Ewigkeit auf der großen Bühne. Aus der Star-Karriere wurde in den hedonistischen Eighties dann zwar nichts. Aber mit dem Umzug in die USA brachte der belesene Singer/Songwriter wieder regelmäßig starke Platten heraus, vor allem das wunderschöne, streicherselige „Don't Get Weird on Me Babe“ (1991) und das grandiose Balladenalbum „Love Story“ (1995). Auch in den Nuller-Jahren ließ Coles Qualität kaum nach, zuletzt mit dem Folkpop-Werk „Broken Record“, das er schon auf dem Hamburger Liebhaber-Label Tapete veröffentlichte.

Dort erscheint nun auch „Standards“ - elf erstklassige Songs, in denen sich Lloyd Cole nach dem akustisch-rustikalen Vorgängerwerk wieder der elektrischen Gitarre zuwendet. Ähnlichkeiten zum epochalen „Rattlesnakes“ sind sicher beabsichtigt, und auch wenn hier nun ein Mann mittleren Alters singt und kein junger Beau wie vor 30 Jahren, so hat doch diese Platte wieder die Unmittelbarkeit und Frische des Debüts.

Die Melodien sind wie meistens bei Cole erlesen (und durchaus selbstbewusst am großen Vorbild Bob Dylan ausgerichtet), die Produktion ist schlackefrei und geschmackvoll, die Stimme des 52-Jährigen wird ohnehin mit zunehmender Reife immer besser (nachzuhören in sensiblen Balladen wie „Myrtle And Rose“ oder „Silver Lake“).

Wichtigster Trumpf von „Standards“ aber sind neben der schieren Klasse der Songs und Arrangements diese zerrenden, sich umschlingenden E-Gitarren. Sie lassen die großen Zeiten des New Yorker Undergrounds der 70er Jahre wieder aufleben - Stichwort Lou Reed oder Tom Verlaine. Lloyd Cole und sein Sohn Will, Mark Schwaber und Matt Cullen sind gemeinsam für das große Sechssaiter-Schaulaufen zuständig, und es klingt fantastisch. Neben der wunderbaren Joan Wasser (Joan As Police Woman) am Klavier sind auch Coles alte Kumpels Fred Maher (Drums), Matthew Sweet (Bass) und Blair Cowan (Keyboards) wieder an Bord - besseres Personal hatte Cole noch nie.

„Als ich diese Lieder sang, fühlte ich mich wie der Bursche, der ich mit Ende Zwanzig war“, sagt der immer noch in den USA lebende Brite über den Jungbrunnen, den die neuen Songs für ihn bedeuteten. „Nur wenn ich in den Spiegel schaue oder Treppen steigen muss, spüre ich mein wahres Alter.“ Wer Lloyd Cole und seine Neigung zur bitteren Selbstironie kennt, kann ermessen, dass sich dieser kluge, aufrichtige Singer/Songwriter derzeit so gut fühlt wie nur selten in seinem Leben. Warum auch nicht: Spätestens mit „Standards“ gehört er zu den ganz Großen seines Fachs.