Manic Street Preachers: Der Sound deutscher Autobahnen

Typisch Manic Street Preachers: Während viele Briten sich von Europa abwenden, macht die politische Band aus Wales ein pro-europäisches Album. Besonders Berlin hat es dem Trio angetan.

Manic Street Preachers — das sind (von links): James Dean Bradfield, Sean Moore und Nicky Wire.

Foto: Alex Lake

Was dem einen ganz normal erscheint, kann für einen anderen etwas Besonderes sein. Selbst die bekanntesten Straßenprediger der Musikgeschichte lassen sich noch von den deutschen Autobahnen beeindrucken — so sehr, dass dabei Ideen für ein neues Album rausspringen.

Die Manic Street Preachers waren in den vergangenen neun Monaten seit Veröffentlichung ihres hierzulande bis auf Platz 31 der Charts gestiegenen Werks „Rewind The Film“ viel in den Ländern der EU unterwegs. Trotz einer bisweilen schon modisch zu nennenden Euro-Skepsis, die nicht nur in ihrer Heimat Großbritannien grassiert, haben die drei Waliser dabei eine, wie sie sagen, gesunde Anti-Euro-Skepsis entwickelt. Die inspirierte sie zu den 13 Songs von „Futurology“.

„Wenn du in einer Band spielst, können dir zwei schockierende Dinge passieren“, hat Gitarrist, Sänger und Songwriter James Dean Bradfield der Tageszeitung „The Guardian“ kürzlich gesagt. „Eines ist, zum ersten Mal nach Japan zu kommen. Das andere — aufs europäische Festland.“

Seit 1991 touren die Manic Street Preachers durch Europa und beobachten die Veränderungen, die der Kontinent durchmacht. „Europa hat zwar eine von Komplikationen zerrissene Identität, aber es wird dennoch von einer gewissen Nachkriegshöflichkeit geeint. Es gibt eine entsprechende Mentalität.“ Aus der emotionalen Sicht heraus mag das stimmen. Als intellektuelle Band behalten die Manic Street Preachers aber auch den politischen Wandel im Auge. „Ich bin etwas besorgt, dass das Böse in der Bürokratie lauert. Auch wenn ich nicht glaube, dass wir schon so weit sind — aber dieser Behördenkram könnte zum Tod einer großen Idee führen“, befürchtet Bradfield.

Düstere Gedanken. Nichtsdestotrotz haben sie zum zwölften und vielleicht vollendetsten Werk seit dem 1996er-Album „Everything Must Go“ geführt. Insbesondere in Deutschland stießen die „Manics“ auf fruchtbaren Boden, um neue Musik zu schaffen. „Während unserer letzten Tour brausten wir über die Autobahn und hörten Kraftwerk, Neu!, Andy Weatherall, Popul Vuh und Cabaret Voltaire“, blickt Gitarrist und Songtexter Nicky Wire zurück. „Auf diesen endlosen futuristischen Straßen und gleichzeitig umgeben von diesen alten Wäldern — das ist ein magisches Gefühl. Es lässt Soundtracks in deinem Kopf entstehen, während du durch diese Landschaft reist.“

Eins ihrer Ziele war Berlin. Dort trafen sie Alex Silva, der schon an ihrem Durchbruch und Referenzwerk „The Holy Bible“ (1994) mitgearbeitet hat. Silva bot ihnen an, ihn in seinem Hauptquartier, den Hansa Studios, zu besuchen — jene legendären Gemäuer, die David Bowie in den 1970er Jahren mit seinen Berlin-Alben (u. a. „Heroes“) berühmt machte. Während ein Teil der Stücke im bandeigenen Studio Faster in Cardiff entstanden, konnten die „Manics“ einzelne Songs in besagten heiligen Hallen aufnehmen. Dazu zählt das stampfende Industrial-Stück „Europa geht durch mich“, bei dem Silvas Lebenspartnerin, die Schauspielerin Nina Hoss, den Refrain singt. Gastmusiker wie Cian Ciarán (Super Furry Animals), Green Gartside (Scritti Politti) und Cate Le Bon sorgen für weitere Abwechslung.

Auch wenn Einflüsse wie Krautrock oder New Pop auf „Futurology“ nach dem eher akustischen Vorgänger „Rewind The Film“ Akzente setzen, bleiben die „Manics“ ihrem Stil aus Rock gepaart mit Synthesizern treu. Und weil ihre Anti-Euro-Skepsis ihnen zu derart kreativen Höhenflügen verhalf, werden auch die Fans große Freude an „Futurology“ haben.