Musiktheater-Schocker zur Eröffnung der Ruhrtriennale

Bochum (dpa) - Eine Oper ohne Sänger, ein Orchester ohne Dirigent - „The Delusion of the Fury“ gilt dennoch oder gerade deswegen als Meisterwerk von Harry Partch (1901-1974).

Der amerikanische Komponist war und ist ein Außenseiter, deshalb schätzt ihn Heiner Goebbels. Sein Wahlspruch lautet: „Für eine starke künstlerische Erfahrung brauchen wir die Begegnung mit etwas, das wir noch nicht kennen.“

„The Delusion of the Fury“ wurde 1969 in den USA uraufgeführt. Erst jetzt, 44 Jahre später, folgt nach Angaben der Ruhrtriennale die europäische Erstaufführung. Goebbels, Intendant des Festivals im zweiten Jahr, inszeniert das Stück selbst, das am 23. August die Ruhrtriennale eröffnen soll.

Geprobt wird in Bochums Jahrhunderthalle. Der erste Eindruck ist überwältigend - mehr die optische als die akustische Seite der Instrumente. Sie wirken fremdartig, geheimnisvoll und schön. Und sie haben es in sich.

Partch nämlich verachtete unser Tonsystem abgrundtief und schuf sein eigenes. Der Abstand der Töne voneinander ist geringer, als wir es gewöhnt sind. Um die Klänge zu erzeugen, schuf Partch neue Instrumente, die für die Erstaufführung in Bochum nachgebaut wurden. Verantwortlich dafür zeichnete das Ensemble musikFabrik aus Köln. Das Chromelodeon etwa hat nicht weniger als 43 Töne in einer „Oktave“. Es sieht fast aus wie ein Harmonium, aber die Tastatur mit unterschiedlichen Farben ermöglicht dem Spieler die Orientierung in der ungeheuer differenzierten Tonvielfalt. Die alternative Tonleiter klingt exotisch.

Beim Probengespräch mit der Deutschen Presse-Agentur spricht Goebbels lieber von Musiktheater als von Oper. „Ich sehe das sehr nahe an der Geburtsstunde des Pop, sehr nahe an "Sgt. Pepper's" von den Beatles - und den Beach Boys, es gibt da durchaus Vorläufer zu dem, was ein paar Jahre später in den experimentellen Rändern der Popmusik zu finden war.“

Goebbels wirkt heiter: „Das Entscheidende für mich wie die Musiker ist der unakademische Impuls. Man kommt dem Stück und der Musik nicht auf die Spur, wenn man es nur so abspielt, wie es in den Noten steht. Da muss immer etwas dazu kommen, die Biografie, der Körper, die Lust.“ Die (satirisch angehauchte) Handlung ist nur schwach ausgeprägt, erinnert an ostasiatische und afrikanische Weisheiten, die Worte erscheinen so rätselhaft wie der Titel. Im Mittelpunkt steht die Musik - optisch wie szenisch. Die neuen, teilweise übermannsgroßen Instrumente stiften eine starke Verfremdung, die Musik bekommt eine nie zuvor empfundene Qualität.

Überdies fehlt, was manche gerne als Affenzirkus des Opernbetriebs verspotten: Festliche Abendkleidung für die Musiker. Sie werden auch nicht in den Orchestergraben verbannt, sondern stehen im Zentrum der Bühne, bewegen sich fast tänzerisch beim Spielen ihrer Instrumente und sind, neben diesen, die Darsteller - ein wahrer, sichtbarer Paradigmenwechsel im Musiktheater.

Auf die Frage nach dem Stand der Proben antwortet Goebbels gelassen: „Wir sind gut in der Zeit.“ Die „starke künstlerische Erfahrung“, von der er spricht und die er in den weiten Gefilden des Unerhörten sucht, kann man jetzt schon bei einem Probenbesuch erahnen - die Erstaufführung dürfte für Kontroversen sorgen.