NDR birgt Jazz-Schätze aus den Archiven
Berlin (dpa) - Dizzy Gillespie, Stéphane Grappelli, Oscar Peterson: Der NDR hat einen riesigen Fundus an Aufnahmen, die vor vielen Jahren im Hamburger „Studio 10“ oder bei Konzerten im Norden Deutschlands aufgezeichnet worden waren.
Es sind Aufnahmen, aus einer Zeit, in der Jazz noch ursprünglich war, in der Musiker Standards meist so spielten, wie sie geschrieben waren. Die Melodien erinnern einen daran, warum man sich in diese Musik verliebt hat.
Am 9. März 1953 machte das Quintett des Trompeters Dizzy Gillespie auf einer Europa-Tournee beim Norddeutschen Rundfunk Halt. Am Bariton-Saxophon Bill Graham - aus seiner Feder stammte „Ooh-shoe-be-doo-be“, ein Song, der fester Bestandteil Gillespies Repertoire wurde. Pianist Wade Legge hatte seinen Bassisten Lou Hackney mit nach Deutschland gebracht. Schlagzeug spielte Al Jones. Insgesamt hinterließ das Dizzy Gillespie Quintet fünf Tracks an diesem Tag, Gershwins „They Can't Take That Away From Me“, „Alone Together“ (Arthur Schwartz und Howard Dietz), „I Can't Get Started“ und Gillespies legendäre Latin Nummern „Manteca“ und „Tin Tin Deo“.
Am selben Tag kam noch ein anderes Quintett ins NDR Studio Hamburg, die Hans Koller New Jazz Stars. Das waren neben dem Wiener Saxophonist die Leipziger Pianistin Jutta Hipp und Posaunist Albert Mangelsdorff. Rhythmisch unterstützt wurden sie von Shorty Roeder, Bass, und dem Schlagzeuger Karl Sanner. Sie spielten durchweg Standards ein, für die damalige deutsche Jazzszene cool und lässig. „The Way You Look Tonight“, „Indian Summer“, „You Go To My Head“ und „All The Things You Are“. Das Auftakt-Album der „NDR 60 Jahre Jazz Edition“, „Dizzy Gillespie Quintet/Hans Koller New Jazz Stars“ ist jetzt erschienen.
Das zweite Album der Reihe ist eine Sammlung mit Aufnahmen des Dave Brubeck Quartetts. Der Pianist tourte zu dieser Zeit sehr viel und trat bei Jazz-Festivals in aller Welt auf, darunter in Indien, Pakistan und Afghanistan. Brubeck wurde begleitet von Schlagzeuger Joe Morello und dem Saxophonisten Paul Desmond. Neues Mitglied der Band war Eugene Wright, Bassist mit afroamerikanischen Wurzeln. Diese Formation, bestehend aus weißen und schwarzen Musikern auf der Bühne, sorgte damals noch für viel Aufmerksamkeit. Am 28. Februar 1958 gab das Dave Brubeck Quartett ein Konzert in der Niedersachsenhalle in Hannover.
Die Songliste enthielt wenige Eigenkompositionen, „One Moment Worth Yearsand“ und „Drums Along The Thames“. Sie war eher geprägt vom „American Songbook“. Das Quartett spielte Standards wie „For All We Know“, „Take The A-Train“ und „Out Of Nowhere“, diese aber kaum im 4/4-Takt. Dave Brubeck erklärte während des Konzerts die rhythmischen Verknüpfungen und Spielereien, dozierte beinahe mit seiner scheu klingenden Stimme. Er kannte sich aus mit der Struktur von Musik, mit Arrangement und Kontrapunkt. Er hatte unter anderem Vorlesungen von Arnold Schönberg besucht und Unterricht bei Darius Milhaud genommen. Brubecks Erläuterungen machen diese Doppel-CD zu etwas Besonderem.
Ein echtes Highlight der Reihe wird am 4. Oktober veröffentlicht: Stéphane Grappelli. Der Jazzgeiger kam 1957 im NDR Studio Hamburg vorbei. Begleitet wurde er von seinem Landsmann Maurice Vander, Piano, und zwei deutschen Musikern. Dem Bassisten Hans Last, der später als James Last Karriere machte, und Rolf Ahrens am Schlagzeug. Diese Rhythmusgruppe beherrschte es perfekt, die swingenden Phrasierungen, Glissandi und Vibrati des Geigers zu tragen. Wieder waren es Lieder aus dem American Songbook - „How Hight The Moon“ (Morgan Lewis & Nancy Hamilton), „Lady Be Good“ (George Gershwin) und „Autumn In New York“ (Vernon Duke). Aber Grappelli wählte auch „Nuages“ und „Manoir de mes rêves“, Kompositionen seines langjährigen Gefährten Django Reinhardt, der im Mai 1953 gestorben war.
Mit „Modern Jazz Quartet NDR Studio Album“ (Veröffentlichung am 8.11.) und „Oscar Peterson Trio Konzertmitschnitt“ werden in diesem Jahr in der Reihe „NDR 60 Years Jazz Edition“ fünf Folgen erscheinen. Eine wunderbare Sammlung musikalischer Bonbons mit sehr ausführlichen und gut zu lesenden Booklet-Texten.