Neue Songwriter-Alben: Von Stamey bis Sexsmith
Berlin (dpa) - Das Musikjahr 2013 nimmt so langsam Fahrt auf - auch mit einer Reihe interessanter Singer/Songwriter-Alben: Neues von Chris Stamey, Jim James, Christopher Owens und Ron Sexsmith.
Das opulenteste Festmahl serviert dabei CHRIS STAMEY, Kopf der jüngst wiedervereingten US-Gitarrenpop-Truppe The dB's. Der Sänger, Gitarrist und Produzent hat in den vergangenen Jahren schon einige hochwertige Soloplatten veröffentlicht, die meist nicht so ganz weit vom Sound seiner Band abwichen - mit hochmelodischen, handwerklich perfekten, am Britpop der Sixties und am US-Rock der frühen Siebziger Jahre orientierten Songs.
Auf Stameys neuem Werk „Lovesick Blues“ (Yep Roc/Cargo) sind diese Einflüsse ebenfalls spürbar, allerdings in besonders sanft-balladesker Ausprägung. In elf schwelgerischen Liedern erweckt der 58-Jährige aus North Carolina eine verträumte Stimmung, von der man sich aber nach seiner Aussage nicht einlullen lassen sollte: „Es sind immer die leisen Songs, die im Dunkeln am lautesten klingen.“ Zumal mit dem eingängigen „You n Me n XTC“ (passenderweise unter Mithilfe von Andy Partridge, dem Boss der großen verblichenen Brit-Band XTC) auch ein veritabler Weckruf darunter ist.
Stamey dachte bei dieser Produktion an Meisterwerke von Todd Rundgren, Nick Drake oder Robert Wyatt - Platten mit klarer „emotional language“. Solch emotionale Ansprache gelingt ihm auf „Lovesick Blues“ mit einer prachtvollen Mixtur aus Softrock, Balladen-Pop, sogar Jazzigem („Occasional Shivers“) - und einem monumentalen, an die Beatles erinnernden Titelsong.
Wie Stamey kennt man auch JIM JAMES vor allem als Frontmann einer tollen US-Rockband, nämlich My Morning Jacket. Nun liefert er mit „Regions Of Light And Sound Of God“ (V2/Cooperative) sein erstes echtes Soloalbum ab, nachdem er zwischenzeitlich schon mal als Yim Yames mit Nebenprojekten unterwegs war. Auch er wollte, dass sein Debüt „aus der Zeit gefallen“ klingen sollte. Zwar sind die Alben von James' Stammband ebenfalls reich an Bezügen zur Rock-Historie, doch auf „Regions...“ konnte sich der bärtige Sänger und Multiinstrumentalist nun aber noch ein bisschen mehr austoben.
Folk, Rock, Soul, Jazz und sogar Hip-Hop-Beats kombiniert der 34-Jährige aus Kentucky mit einem ausgeprägten Sinn für schräge Einfälle. Einige Solo-Songs hätten problemlos auch auf die sechs Studioalben von My Morning Jacket gepasst - in anderen Stücken ließ James seine Experimentierlust aber wohl doch zu sehr ins Kraut schießen für eine Mega-Band, die in den USA zuletzt die Top Ten der Album-Charts erreichte. Von deren Fans werden manche etwas ratlos auf das Patchwork von „Regions...“ reagieren, aber auch ihnen bleibt ja immer noch die Stimme von Jim James, eine der eindrucksvollsten im US-Rock.
Im Gegensatz zu Stamey und James war der Name CHRISTOPHER OWENS bisher wohl nur ausgewiesenen Kennern der US-Indiepop-Szene bekannt. Der Frontmann der hoffnungsvollen kalifornischen Psychedelic-Rock-Band Girls profiliert sich auf seinem Solo-Debüt „Lysandre“ (Turnstile/Pias/Rough Trade) nun als ernstzunehmender Singer/Songwriter. Lysandre hieß eine junge Französin, in die sich Owens offenkundig heftig verliebte, und die Geschichte dieser Beziehung schildert er nun auf diesem schönen, traurigen Album.
Owens wollte nach eigenen Worten nicht nur seinen Liebeskummer aufarbeiten, sondern auch „ein kleines Fenster zu meiner Seele“ öffnen. Ob das mit diesen elf Softrock- und Powerpop-Songs in nur knapp 30 Minuten gelungen ist, muss wohl jeder Zuhörer selbst entscheiden. Ohne Zweifel aber liefert der junge Mann von der US-Westküste mit dem kleinen Konzeptalbum „Lysandre“ eine beachtliche Talentprobe ab, die durchaus Hoffnung auf größere Erzählungen weckt. Ach ja, noch eine Warnung: Allergisch gegen Saxofon- und Flöten-Töne sollte man nicht sein...
Im Gegensatz zum Newcomer Owens ist RON SEXSMITH seit vielen Jahren ein in Fachkreisen hoch renommierter Singer/Songwriter. Auch wenn berühmte Kollegen wie Paul McCartney, Elvis Costello, Elton John, Chris Martin oder Feist ihn rühmen oder seine Lieder nachspielen, ist der 49-Jährige mit dem meist trübe dreinblickenden Jungsgesicht bis heute ein Geheimtipp geblieben. Von den ersten Waldhorn-Klängen seines neuen Albums an ahnt man, dass dies so bleiben wird - leider.
Denn Sexsmith schreibt weiterhin herrliche Lieder mit geradezu klassischen Folkpop-Melodien, aber sein immer etwas windschief tönender Gesang verhindert wohl den großen Durchbruch. Dabei hat diese ungewöhnliche, klagende Stimme auch auf „Forever Endeavour“ (Cooking Vinyl) durchaus ihren Reiz, aber für die breite Masse klingt sie nicht anschmiegsam und poliert genug.
Die Arrangements und Melodien auf Sexsmiths zwölftem Studioalbum in rund 20 Jahren gehören zu seinen allerbesten - was auch ein Verdienst von Mitchell Froom sein dürfte, zu dessen Produzenten-Kunst der Kanadier nach dem etwas misslungenen Vorgänger „Long Player Night Bloomer“ (2011) wieder zurückkehrte. In einer gerechteren Welt wären der temperamentvolle, bläserverstärkte Sixties-Popsong „Snake Road“ oder „Blind Eye“ mit seiner Southern-Soul-Atmosphäre sichere Hits. Aber in der Gegenwart wird Sexsmith wohl ein Singer/Songwriter für (viel zu wenige) Pop-Gourmets bleiben.
Konzerte Ron Sexsmith: 27.2. Köln, 3.3. Berlin, 4.3. Hamburg.