Neues Album: M.I.A. überschreitet Grenzen

Sie nennt sich selbst ein Flüchtlingskind und nimmt den Kampf gegen Ungerechtigkeit auf. Von dieser Spur weicht M.I.A. auch mit dem vierten Album keinen Millimeter ab.

Sie ist noch kein Superstar. Aber sie ist hartnäckig. Und skrupellos, wenn es um ihr künstlerisches Anliegen geht. Sie ist der Stachel im Fleisch einer Popindustrie, die sich mehr um den schönen Schein kümmert als um das Sein und um das, was einmal eine Grundidee des Pop war: Revolte, Aufmüpfigkeit.

Vielleicht ist Mathangi Arulpragasam, kurz M.I.A., sogar einer der letzten authentischen Pop-Acts dieses Planeten — gerade weil sie kein Blatt vor den Mund nimmt und mit Musik und Texten Grenzen überschreitet: Die in der Musik. Die zwischen Ländern. Die in Köpfen. Auch auf ihrem vierten Album „Matangi“, das am 4. November erscheint, fallen die Mauern wie Dominosteine.

Arulpragasam wuchs — lange bevor sie sich M.I.A. nannte und Musik machte — an zwei Enden der Welt auf und bekam Kulturen und Ideologien im Akkord um den Kindskopf gehauen. Geboren 1975 in London, wanderte sie mit ihren Eltern früh in deren Heimat Sri Lanka aus, wo sich der Vater einer militanten Organisation unterdrückter Tamilen anschloss. Die Konsequenz: Verfolgung und Flucht vor der Staatsgewalt. Mit ihrer Mutter kehrte sie nach London zurück; im Alter von zehn Jahren war die vorläufige Endstation ein Flüchtlingsheim.

Arulpragasam lebte fortan in einer Notgemeinschaft armer Menschen unterschiedlichster Nationalitäten. Sie schaffte die Schule, studierte Kunst und Film. Und entdeckte plötzlich die Musik als Ventil für all das, was um sie herum passierte und was sie beschäftigte.

„Arular“, ihr nach dem Vater benanntes Debütalbum (2005), war gleich ein Schlag ins Gesicht der Autoritäten und Schönfärber. Der Soundtrack einer Welt, die sich so gerne globalisiert nennt, aber von einem Miteinander über Kontinente hinweg nichts wissen will. Ein Soundtrack, der am Rand der Gesellschaft entstand und alles aufklaubte, was dort herumlag.

M.I.A. — das Pseudonym ist abgeleitet vom eigenen Namen und von der Bezeichnung „Missing In Action“ für Soldaten, die nach Kriegseinsätzen vermisst werden — jagte Sätze wie „Pull up the people“ („Bring die Menschen auf“) oder „Fire, Fire“ durch das ihr eigene multikulturelle Dasein. Sie mischte Hip-Hop und Rap mit Reggae, indische mit afrikanischer Folklore. Sie verband britischen Gossenjargon mit jamaikanischem Patois-Slang und legte kurze Songteile von Punkbands wie The Clash und Suicide darunter.

Auf den Nachfolgealben „Kala“ (2007, benannt nach der Mutter) und „Maya“ (2010, mit dem eigenen Beinamen als Titel) ging es so weiter. Am Ende stand jedes Mal mitreißende, jegliche Konvention zerstörende Musik, die die Kritik jubeln ließ. Den Betreibern von Radiostationen und Fernsehsendern standen derweil die Haare zu Berge.

Im Video zur Single „Born Free“, einem Ausrufezeichen gegen Rassismus, misshandeln Soldaten rothaarige Menschen. Im Erfolgssong „Paper Planes“, einer Studie zum Alltag in Vorort-Ghettos, sind Pistolenschüsse zu hören. Songs und Video wurden boykottiert. Doch so etwas nimmt M.I.A. in Kauf und hetzt nach Belieben gegen eine von ihr empfundene Verlogenheit der Medien und der Politik. Ihr Motto: Zeige die Realität so, wie du sie siehst. Das ist Kunst. Verharmlosung wäre in ihren Augen eine Todsünde.

M.I.A. sieht sich als Streiterin für eine bessere Welt und nennt sich in Interviews stolz eine Immigrantin und ein Flüchtlingskind. Sie will den Kampf gegen die Ungerechtigkeit mit ihren Mitteln führen — mit der Musik. Dass die neue, selbstbetitelte Platte „Matangi“ keinen Deut von dieser Spur abweicht, liegt angesichts weltweit wachsender Armut und Flüchtlingen, die an Grenzen abgewiesen werden, auf der Hand.

Die neuen Songs treiben den Global-Beat zwar ein wenig zurückgenommener und durchdachter voran als zuvor — nichtsdestotrotz tun sie das wieder mit einer Verve, die jeden Tanzboden entflammen könnte. Sie handeln von „Warriors“ (Kriegern) und kündigen lauten Protest an („Bring The Noise“).

Letztendlich ist klar: Ihre Kritiker werden das naiv und unerzogen nennen. Musikliebhaber werden begeistert dazu tanzen. Und alle anderen werden dankbar sein für eine Künstlerin, die durch ihre Grenzenlosigkeit ein Stückchen dieser Welt rettet.