„Don’t kill my vibe“ Newcomerin Sigrid landet internationalen Hit
Oslo (dpa) — Sigrid Solbakk Raabe aus Ålesund sieht nicht aus wie Beyoncé, Kylie Minogue oder Katy Perry. Ihre braunen Haare hängen glatt herunter, das sommersprossige Gesicht wirkt ungeschminkt, und das weiße T-Shirt zieht auch keine Aufmerksamkeit auf sich.
Doch wenn die 21-Jährige den Mund aufmacht, dann glaubt man gern, dass sie den amerikanischen Popgrößen dicht auf den Fersen ist. Denn diese Stimme ist alles andere als gewöhnlich.
Innerhalb weniger Wochen ist Sigrids Debütsong „Don’t kill my vibe“ zum internationalen Hit geworden. BBC kürte ihn im Februar zum „Hottest Record In The World“, im Mai trat Sigrid damit in der CBS-Talkshow „The Late Late Show“ mit James Corden auf, bis August war ihr Lied mehr als 20 Millionen Mal auf Spotify gestreamt worden. Nach Aurora, Astrid S und Dagny ist ein neues norwegisches Musiktalent auf dem Weg, zum Exportschlager zu werden. 2018 kommt ihr erstes Album raus.
„Ich habe einfach nur verdammtes Glück gehabt“, sagt die Sängerin, die am 5. September 21 Jahre alt wurde, im Interview der Deutschen Presse-Agentur bescheiden. „Ich kann das machen, was mir total Spaß macht.“ Und das möchte sie am liebsten für den Rest ihres Lebens.
Dabei war ihr das Gesangstalent nicht in die Wiege gelegt: „Als Kind habe ich wie eine Krähe gesungen, wirklich nicht schön“, erinnert sie sich. Doch dann habe sie neben Klavier- auch Gesangsunterricht bekommen, und aus der Krähe wurde eine Lerche. „Ich hatte eine sehr gute Gesangslehrerin, die immer sagte: Mach dein Ding. Sie hat mich zu nichts gezwungen, vielleicht habe ich deshalb so eine Raspelstimme.“
Schon als Schülerin stand Sigrid auf der Bühne: Sie spielte Theater, tanzte klassisch, modern und HipHop und gab als Jugendliche Schulkonzerte mit Coversongs - eine Ausbildung, die ihr jetzt auf der Bühne anzusehen ist. Aus dem bescheidenen Mädchen im weißen T-Shirt wird im Scheinwerferlicht eine wahre Rockröhre in Pink. Sie wirbelt mit den Armen, verzerrt das Gesicht zu Grimassen und geht auf die Knie. Körperlicher Einsatz - ohne dabei ins Schwitzen zu geraten. „Catchy Musik, voller Leben und eine gute Bühnenshow voller Energie“, meint die 20-jährige Annika, die beim Konzert beim Osloer Øyafestival im August gleich vor der Bühne steht. Sigrid sei einfach sie selbst.
Dass das Mädchen das Zeug zu mehr hat, hat ihr Bruder als Erster gemerkt. „Tellef ist auch Musiker, und er hat mir angeboten, bei einem seiner Konzerte mitzumachen“, erzählt die junge Frau. Doch es gab eine Bedingung: Sigrid sollte nicht irgendeinen Adele-Song spielen, sie sollte selbst ein Lied schreiben. „Ich brauchte zwei Wochen, aber da hatte ich meinen ersten selbstgeschriebenen Song.“ Mit der Gitarre unterm Arm sang die 16-jährige über Liebe und Gebrauchtwerden - und dem Publikum gefiel es. „Da habe ich angefangen zu denken: Vielleicht sollte ich Musikerin werden.“
Als 17-Jährige unterschrieb Sigrid ihren ersten Plattenvertrag mit Petroleum Records. Und nur drei Jahre später, das Abitur gerade in der Tasche, hat die bescheidene junge Frau von der Westküste ihren internationalen Durchbruch. In ihren Songs gehe es hauptsächlich um Beziehungen - zu Leuten die sie trifft, zu Jungs, mit denen sie zusammen war, zu Freunden, erzählt sie. Und immer auch geht es um Gefühle.
Bei „Don’t kill my vibe“, was frei übersetzt „Brems meine kreative Energie nicht aus“ heißt, geht es um Wut. Genau das Gefühl hatte Sigrid, als sie bei einem Schreibworkshop mit jemandem zusammenarbeiten musste, der sie nicht respektierte und sie bevormunden wollte. „Ich war so wütend auf mich selbst, weil ich nichts gesagt habe“, erzählt sie. Als sie am Abend mit ihrem Produzenten im Studio saß, wurde aus der Wut ein Song: Don’t kill my vibe. „Was ich am Musikmachen und Schreiben so liebe ist, dass ich meine Gefühle in etwas Produktives umwandeln kann.“
Der dynamische Song bescherte ihr Fans in der ganzen Welt und Anerkennung von Kollegen. Vor kurzem rief sogar Elton John an: „Er hat mich für ein Radioprogramm interviewt und gesagt, dass ihm meine Musik gefällt“, erzählt Sigrid etwas aufgeregt. „Er ist ein sehr netter Typ. Ich habe ihm gesagt, dass ich ein Fan von ihm bin.“
Im letzten Jahr hat sie bei der britischen Island Records einen Vertrag unterschrieben und tourte in New York, Roskilde, Texas, Los Angeles, London und in der Heimat, beim Øyafestival in Oslo. Am Sonntag (10. September) spielt sie beim Lollapalooza-Festival in Berlin.
Doch auch wenn sie den Duft der weiten Welt geschnuppert hat, ein Leben im Ausland kann sich die Vokalistin, die jetzt in Bergen lebt, nicht vorstellen. „Wir haben so ein Glück mit unserem Wohlfahrtsstaat, es gibt so viele Möglichkeiten hier, und wir haben ein recht gleichgestelltes Land.“ Außerdem liebt sie — wie fast alle Norweger - die Natur. „Ich bin ja am Meer aufgewachsen. Ich mag es, wenn es um mich herum grün ist.“