Nigel Kennedy: Der rebellische Stargeiger
Nigel Kennedy über seine neue CD „Recital“, David Garrett und Vegetarier.
Düsseldorf. Nigel Kennedy kommt seinem Image gerecht leicht verspätet zum Interview im grau-roten Jogging-Anzug mit dem Schriftzug seines Lieblings-Fußball-Vereins Aston Villa, doch der 56-Jährige verteilt freigiebig Handküsse. Erst lobt der Brite den deutschen Tee, dann erkundigt er sich artig nach Fortuna Düsseldorf.
Herr Kennedy, Sie gelten als Rebell der klassischen Musik. Kultivieren Sie das Image?
Nigel Kennedy: Um am Aussehen etwas zu ändern, ist es ja ein bisschen spät (lacht). Die Image-Frage muss man differenziert betrachten. Wenn seriös heißt, dass man auf der Bühne nicht lächeln, nicht herumlaufen und nicht mit dem Publikum reden darf, dann ist das einfach blöd. Ich habe mich selbst nie als Rebell gesehen, sondern ich habe einfach auf meine Art und Weise Musik gemacht.
Nervt es Sie denn nicht, immer wieder auf Tournee zu gehen?
Kennedy: Überhaupt nicht. Du bekommst eine fantastische Energie von den anderen Musikern und vom Publikum — die kriegst du mit nichts anderem. Da fühlst du dich total lebendig. Und die Konzerte sind ja immer völlig unterschiedlich. Das aktuelle zum Beispiel ist ganz intim mit nur drei anderen Musikern. Das wird das leiseste Konzert seit 20 Jahren.
Sie verzichten sogar auf die elektrisch verstärkte Geige?
Kennedy: Genau. Diesmal spiele ich nur akustisch.
Auf Ihrer neuen CD spielen Sie sowohl klassische als auch Jazz-Stücke. Was mögen Sie lieber?
Kennedy: Letztlich Jazz, weil der Umgang der Musiker untereinander demokratischer und respektvoller ist. Man muss sich gegenseitig genau zuhören und aufeinander reagieren, sonst hört sich das blöd an. Bei der Klassik sollte man sich natürlich auch zuhören, aber wenn die Leute ihren Streifen automatisch runterspielen, klappt das auch noch.
Kritiker werfen Ihnen vor, Sie machten es sich mit der Mischung zu leicht. Was sagen Sie denen?
Kennedy: Möglicherweise haben diese Leute keine Ahnung. Sie haben einen sehr engen Blick auf die Musik. Das Publikum hat dagegen immer verstanden und gemocht, wenn ich zwischen ernsten und leichteren Stücken wechsele. Ein Problem ist sicher auch, dass klassische Musiker heute nicht mehr improvisieren können, das wird ihnen am Konservatorium regelrecht ausgetrieben. Also ist das auch keiner mehr gewöhnt.
Waren Sie der Erste, der so konsequent auf Cross-over gesetzt hat?
Kennedy: Na ja, Friedrich Gulda war da aktiv, André Previn ist auch ein toller Jazz-Pianist, die haben mich schon beeinflusst. Angefangen hat das bei mir eigentlich, als ich in New York auf der Straße gespielt habe. Da habe ich richtig gut verdient: In zwei Stunden hatte ich 200/300 Dollar zusammen, mit ein bisschen Arbeit im Sommer kam ich über den ganzen Winter. Das war sehr beruhigend für mich: Wenn ich es in der Klassik nicht schaffen sollte, könnte ich trotzdem genug Geld verdienen mit Musik, die ich auch mag.
Wie stehen Sie zu jüngeren Musikern wie David Garrett, die heute auf Cross-over setzen?
Kennedy: Ich habe ihn nur einmal gesehen, und da hat er Playback gespielt. Das lehne ich total ab. Man lernt doch kein Instrument, um dann so zu tun als ob.
Spielen Sie im Fernsehen live?
Kennedy: Immer. Auch wenn der Sound vielleicht nicht so gut ist wie aus der Konserve.
Was sind die Leidenschaften in Ihrem Leben außer der Musik?
Kennedy: Meine Liebe zum Fußball hat nachgelassen, weil es den Spielern nur noch ums Geld geht und sie nicht mehr loyal gegenüber einem Verein und den Fans sind. Und die Vereine sind im Besitz fremder Investoren. Aston Villa gehört zum Beispiel einem Amerikaner, den man nie im Stadion sieht. Es geht immer mehr ums Geld. Heute habe ich oft keine Lust mehr, fünf Stunden zu fahren, um meinen Verein spielen zu sehen, sondern gehe lieber mit den Hunden raus.
Ich habe gelesen, dass Sie als Tierfreund Vegetarier waren. . .
Kennedy: Fünf Jahre lang, es war schrecklich.
Warum war es so furchtbar?
Kennedy: Wenn ich jemanden sah, der Fleisch aß, wurde ich unglaublich neidisch. Eines Tages habe ich eine Familie gesehen, die eine Ente aß — da konnte ich nicht mehr und habe eine ganze Ente für mich allein bestellt.