Olly Murs: Frischer Wind an der Castingfront
Während deutsche Castingshow-Sieger etwas schwächeln, macht sich der britische „X Factor“-Finalist Olly Murs in den Charts breit.
Düsseldorf. Es fing an mit Karaoke. Eigentlich ist das ein peinlicher Kneipensport aus Japan, der auch untalentierten Musikern nach ein paar Bier das Gefühl gibt, ein Superstar zu sein. Das Publikum befeuert diesen Taumel: Es grölt und singt laut mit.
Auch Olly Murs sang an Wochenenden in englischen Pubs Elvis und Frank Sinatra. Nur mit einem Unterschied: Er hatte die Stimme, die vielen im Raum fehlte. Deswegen wollte der junge Brite auch irgendwann mehr aus seinen Fähigkeiten machen. Er lernte Gitarre, übte zu Hause vor dem Spiegel. Später gründete er die Band Small Town Blaggers, mit der er sich nebenher etwas Geld bei Partys verdiente, während er als Personalvermittler und Callcenter-Berater arbeitete.
Doch Murs wollte mehr. Er probierte, seine Musikkarriere übers Fernsehen anzukurbeln, was aber nicht funktionieren wollte: Murs’ Versuche, Kandidat bei der britischen Castingshow „X Factor“ zu werden, schlugen fehl. Zweimal wurde er abgelehnt. Nach einer Auszeit in Australien probierte er es im Jahr 2009 ein drittes Mal — zur selben Zeit wie die irischen Jedward-Zwillinge, die durch den letztjährigen Eurovision Song Contest bekannt wurden.
Noch bevor Murs die TV-Bühne betrat, stellte ihm Musikmanager und Juror Louis Walsh die Frage, was sein größter Traum sei. Antwort: „Ich will berühmt sein, Platten verkaufen und ein internationaler Superstar werden!“ Große Worte für einen, der schon zweimal gescheitert war. Doch diesmal schaffte er es.
Dabei war die Musik gar nicht seine erste Wahl. Am liebsten wäre Murs Fußballprofi geworden. Seit seiner Kindheit ist er Fan von Manchester United.
Eine Zeit lang spielte er für den Witham Town Football Club seiner kleinen Heimatstadt in der Grafschaft Essex. Doch dann machte ihm ein Kreuzbandriss einen Strich durch die Rechnung. Aus Murs wurde kein Mittelfeldspieler, er musste den Traum von der Profikarriere an den Nagel hängen. „Fußball bleibt aber mein größtes Hobby“, sagt er heute. Und es scheint auch so, als könne er sich nicht ganz von seinem Sport trennen. Bei Interviews sieht man ihn öfter mit einem Fußball. Lässig kickt er das Leder auf und ab oder macht Liegestütze mit dem Ball im Nacken.
Auch die Bundesliga interessiert ihn: „Schweinsteiger ist ein Topspieler! Er würde bestimmt gut im ManU-Trikot aussehen. Aber ich glaube, er wird München nicht so schnell verlassen“, sagt Murs mit Bedauern. Bei der EM in Polen und der Ukraine rechnet er mit einem guten Abschneiden des DFB-Teams: „Deutschland hat eine eindrucksvolle Mannschaft: Özil, Khedira, Schweinsteiger und Klose haben viel Talent. Ich denke, sie können die EM gewinnen.“ Ein Engländer, der die deutsche Nationalelf lobt? Das hat man nicht oft.
Musikalisch versucht er es nun auch auf der deutschen Bühne und will in die Fußstapfen seiner „X Factor“-Kollegin Leona Lewis treten. Doch die Gewinnerin aus dem Jahr 2006 scheint ihm einen Schritt voraus: Den Sieg der Castingshow schaffte Murs nicht. Er landete nur auf Platz zwei. Und das, obwohl er tatkräftige Unterstützung von Prominenten wie Robbie Williams oder Paul McCartney bekam.
Nichtsdestotrotz veröffentlichte Murs Ende 2009 sein erstes Soloalbum in Großbritannien. „Das Songschreiben fiel mir zunächst nicht leicht, das habe ich vorher nie wirklich gemacht. Ich habe immer nur ein bisschen Gitarre gespielt“, sagt Murs. Das Debüt schaffte es auf Platz zwei in den UK-Charts. Im November erschien in England sein zweites Album „In Case You Didn’t Know“, das nun auch in Deutschland veröffentlicht wird.
Die erste Single „Heart Skips A Beat“, eine Popnummer mit Hip-Hop-Einschlag, schaffte es bereits in die Top drei der Charts. Auftritte in Karaokebars dürften nun wohl immer seltener werden.