„Parsifal“ in Bayreuth umjubelt
Bayreuth (dpa) - Und wie halten wir es mit diesem „Parsifal“? Auf einem großen Spiegel auf der Bühne sieht das Publikum sich selbst in dieser Inszenierung von Stefan Herheim bei den Bayreuther Festspielen.
Am Sonntagabend ist sie erstmals in dieser Spielzeit aufgeführt worden. Das Publikum in Bayreuth war begeistert - auch von der Regie. Und das hat inzwischen Seltenheitswert am Grünen Hügel. Als Dirigent trat erstmals in Bayreuth der Schweizer Philippe Jordan auf.
Herheim hält in seiner Inszenierung aus dem Jahr 2008 nicht nur dem Festspielhaus-Publikum dem Spiegel vor, sondern den Deutschen insgesamt. Dieses Volk lässt sich im 20. Jahrhundert begeistert in zwei verheerende Kriege treiben - erst vertraut es seinem Monarchen zu sehr, dann verfällt es einem Diktator. Dieses Volk muss in den Trümmern schmerzhaft die Demokratie lernen. „Parsifal“ ist hier keine individuelle Erlösungsgeschichte. Es ist die Erlösungsgeschichte eines Volkes.
Jordan gibt ein umjubeltes Debüt, er führt das Orchester schlank im respektvollen Umgang mit dem Werk, das ja einst von Richard Wagner eigens für das Festspielhaus geschaffen wurde. In der Sängerriege ragt Kwangchul Youn als Gurnemanz heraus, er ist der Publikumsliebling des Abends. Die Titelpartie singt erstmals Burkhard Fritz in Bayreuth, als Kundry ist erneut die routinierte und dramatisch begabte Susan Maclean zu sehen und zu hören. Der Chor (Leitung: Eberhard Friedrich) ist wie immer in glänzender Verfassung.
Die Inszenierung beginnt im wilhelminischen 19. Jahrhundert. Die Kulisse bildet Richard Wagners Haus Wahnfried, sein Grab ist ein zentraler Punkt im gelungenen Bühnenbild (Heike Scheele). Die Figuren tragen dunkle Flügel (Kostüme: Gesine Völlm), doch fliegen können sie nicht. Eher scheinen sie beschwert. Wahnfried als Wiege des Erlösungsgedankens, der weit über die Kunst hinausweist und - siehe NS-Zeit - nicht immer Gutes hervorbringt: Herheim und sein Team haben sich kluge Gedanken gemacht über Wagner, über „Parsifal“, über Bayreuth, über Deutschland.
Es folgt der Erste Weltkrieg, die Mobilmachung im martialischen Freudentaumel. Und dann leuchten die Hakenkreuze auf der Bühne und die Waffen-SS marschiert auf. Und das in Bayreuth? Wo doch ein russischer Bassbariton wegen Tattoos mit Nazi-Symbolik, die er sich als Jugendlicher hat stechen lassen, als nicht tragbar erschien? Aber die Inszenierung stellt sich der braunen Vergangenheit der Festspiele. Denn Herheims „Parsifal“ ist auch eine Studie darüber, welche Bedeutung Wagner und seinem „Parsifal“ im Speziellen zugewiesen worden war im Laufe der Geschichte. Dass das Publikum davor nicht die Augen verschließt, sondern begeistert applaudiert, belohnt Herheims Mut.
Bilder und Musik verschmelzen miteinander in dieser rundum stimmigen Inszenierung. Das Finale verlegt Herheim in den deutschen Bundestag. Das Volk ist erlöst. Im Pragmatismus der parlamentarischen Demokratie ist kein Platz mehr für die Überhöhung religiöser Symbole. Da braucht es keine einzelnen Erlöserfiguren mehr. Zuvor zitiert Herheim noch die Begründer von Neu-Bayreuth nach dem Krieg, Wolfgang und Wieland Wagner: Bitte keine politischen Debatten mehr, denn: „Hier gilt's der Kunst.“ So einfach könnte es sein. Und so schwer war es doch in all den Jahrzehnten zuvor, als das „Bühnenweihfestspiel“ für Ideologien und Verirrungen herhalten musste.
Die Aufführung am 11. August wird in Deutschland in etlichen Kinos gezeigt, auch der TV-Sender Arte überträgt. Die Bayreuther Festspiele enden am 28. August. An diesem Tag hebt sich zum letzten Mal der Vorhang für Herheims „Parsifal“. Der neue „Ring“ im kommenden Jahr braucht Platz im Spielplan. Dem Publikum wird der Abschied schwer fallen. Es hat sich selbst im Spiegel gesehen. Es weiß, dass es Teil des großen Wagnerschen Kunstkosmos ist - und auch Teil der Geschichte.