Auftritt in Berlin Paul Simon: Konzert-Triumph mit einem Hauch von Wehmut
Berlin (dpa) - Ein Hauch von Wehmut liegt über der Zeltdach-Szenerie des ausverkauften Berliner Tempodroms, als Paul Simon nach weit über zwei Stunden sein wirklich allerletztes Lied anstimmt.
Passenderweise „The Sound Of Silence“, ganz allein zur akustischen Gitarre - dann ist Schluss am späten Donnerstagabend. Was bleibt, sind gemischte Gefühle: Glück über ein fantastisches Konzert - und Traurigkeit über den mutmaßlichen Abschied der Songwriter-Ikone von der Bühne.
So etwas hatte Simon kürzlich angedeutet. „Es geht auf das Ende zu“, sagte Paul Simon der „New York Times“. „Am Showbusiness habe ich keinerlei Interesse. Null.“ Kurz vor seinem 75. Geburtstag am 13. Oktober wurden diese Sätze als ernsthafte Rücktrittsankündigung gewertet. Zumindest für Simons künftige Konzertpräsenz, denn der körperlich kleine, zerbrechlich wirkende Mann sagte auch: „Loszulassen ist eine mutige Tat.“
Wieviel Kreativität als Melodienerfinder und Soundtüftler noch in dem seit fast 60 Jahren aktiven Paul Simon steckt, zeigte er gerade dieses Jahr wieder mit seinem Album „Stranger To Stranger“. Zeitlos schöne Harmonien, dezente Klangexperimente, dieser ewig junge Chorknaben-Tenor - und eben jene so komplexen wie federleichten Worldmusic-Beats, auf die der Songschreiber aus New York seit seinem Welthit „Graceland“ (1986) abonniert ist. Mit „The Werewolf“, „Proof Of Love“, „Insomniac's Lullaby“ und dem Titelsong enthält auch die neue Platte mindestens vier künftige Simon-Klassiker.
Das Album steht auch beim Berliner (Abschieds?-)Konzert prominent im Fokus - viel prominenter jedenfalls, als es sonst bei Pop- und Rock-Senioren und ihren neuesten Erzeugnissen üblich ist. Nein, eine Jukebox, aus der nur noch die alten Hits purzeln, ist Simon nicht. So erklingt am Donnerstag auch das rhythmisch raffinierte „Wristband“, in dem der äußerlich so unauffällige Sänger darüber witzelt, wie ihm mal der Zutritt zu seinem eigenen Konzert verwehrt wurde.
Neben einer Handvoll aktueller Lieder von „Stranger To Stranger“ spielen Simon und seine brillante neunköpfige Band - manche davon schon treue Begleiter seit mehr als 20 Jahren - viel Material aus der afrikanischen und südamerikanischen Phase Mitte/Ende der 80er Jahre. Damals hatte Simon nach den frühen Welterfolgen mit Simon & Garfunkel und einer sehr solide Solo-Karriere noch einmal eine geniale Idee, indem er die pulsierenden Sounds aus Südafrika und Brasilien in seinen klugen, melodischen Songwriter-Pop einwob.
Welch enzyklopädisches musikalisches Wissen Simon über die Jahrzehnte angehäuft hat, wird auch in Berlin immer wieder deutlich. Neben den amerikanischen Stil-Spielarten Folk und Blues sind es Afropop, Latin, die Südstaaten-Musik Cajun und Jazz - dies etwa in der zu Tränen rührenden Pianoballade „Still Crazy After All These Years“, einem Konzerthöhepunkt.
Spätestens als Simon bei „You Can Call Me Al“ nach gut einer Stunde alle Tempodrom-Besucher zum Tanzen auffordert, ist die Halle eine einzige Party-Location. Der Meister selbst - früher durchaus zur Miesepetrigkeit neigend - ist bester Stimmung, tanzt tapsig zu den lässigen Grooves seiner Band, erzählt zwei, drei kleine Geschichten zu den Songs, lächelt viel und dankt dem euphorischen Publikum mit sympathischen Demutsgesten.
„I am leaving, I am leaving, but the fighter still remains“ („Ich breche auf, ich hau' ab - doch der Kämpfer in mir bleibt“) singt Simon im unsterblichen „The Boxer“ - in Berlin einer von wenigen Songs aus dem Repertoire von Simon & Garfunkel. Es könnte das Motto dieses Karriere-Spätherbstes sein. Womöglich zollt der 75-Jährige dem Tournee-Stress Tribut - als Schreiber wunderbarer Lieder bleibt er der Pop-Welt hoffentlich noch eine Weile erhalten.