Plattenfirma nimmt lieber Zweitplatzierten unter Vertrag
Überraschende Entscheidung der Jury des Chopin-Wettbewerbs: Nicht Favorit Ingolf Wunder wird zum Sieger erkoren.
Düsseldorf. Skandal beim Warschauer Chopin-Wettbewerb: Beim renommiertesten Klavierwettbewerb der Welt schieden sich die Geister am 24-jährigen Österreicher Ingolf Wunder. Er war klar favorisiert, trotzdem vergab die Jury den Sieg an die Russin Julianna Awdejewa. Wunder landete auf Platz zwei.
Dabei sahen ihn die meisten vorne — unter anderem auch die Plattenfirma Deutsche Grammophon: Sie nahm Wunder trotzdem unter Vertrag und nicht die erstplatzierte Awdejewa, für die sich derzeit keine Plattenfirma zu interessieren scheint.
Bereits manch Warschauer Musikkritiker fand das Spiel der Russin „zu perfekt“ und „unpersönlich“. Und als der Jury-Präsident den Namen der Gewinnerin feierlich verkündete, mischte sich in den Beifall manch lautstark enttäuschtes „Och!“ Denn Wunder wurde längst als Anwärter für den ersten Preis gehandelt. So sieht es Ute Fesquet, Plattenproduzentin bei der Deutschen Grammophon in Hamburg. Für die Chopin-Jury ist der Vorgang eine schallende Ohrfeige, kommen doch in aller Regel die Sieger — von Maurizio Pollini bis Rafal Blechacz — beim traditionsreichen Label unter die Haube.
„Im Oktober 2010 wurde schon vor dem Beginn der Finalrunde gemunkelt, dass der Gewinner Ingolf Wunder längst fest stehe und wenn nicht er, dann gäbe es drei weiter Favoriten — keiner sprach über die jetzige Gewinnerin“, sagt Fesquet. Man wolle seitens der Plattenfirma zwar nicht das Bewertungssystem der Jury in Frage stellen, doch den tiefen Eindruck den Ingolf Wunder mit der Darbietung von Chopins e-Moll-Konzert hinterlassen habe, sei ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Zusammenarbeit gewesen.