Provokateur Castorf soll Wagner-Weihestätte aufmischen
Berlin (dpa) - Wim Wenders sprang ab. Das brachte die Leiterinnen der Bayreuther Wagner-Festspiele, Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier, in Zugzwang. Jetzt ist der Regisseur für den Jubiläums-„Ring“ gefunden: Frank Castorf.
Immerhin: Wagner hat er schon einmal inszeniert. Dennoch wird das eingeschworene Bayreuth-Publikum mit Frank Castorf als neuem „Ring“-Inszenator sicher erstmal fremdeln. Der sperrige Intendant der Berliner Volksbühne gilt als Theaterwüterich, Stücke-Zertrümmerer und Provokationsmaschine. Pathos und der hohe Ton sind seine Sache nicht. Castorfs wilder Regiestil wird die in feinen Roben mit Fernglas und Klavierauszug auf dem Schoß im Bayreuther Festspielhaus sitzenden Herrschaften möglicherweise erschrecken - und das ausgerechnet beim Jubiläums-„Ring“ 2013, bei dem der 200. Geburtstag von Richard Wagner gefeiert wird.
Co-Festspielleiterin Katharina Wagner ist sich bewusst, dass ihre Entscheidung auch auf Kritik stoßen wird. „Man muss Castorf nicht mögen“, sagte sie am Donnerstag, als sie in Berlin die Wahl des neuen „Ring“-Regisseurs bestätigte. Aber: „Er arbeitet handwerklich sauber“, seine Inszenierungen seien sehr spannend - „ein Vollprofi“. Castorf sei sich der Bedeutung bewusst, den Jubiläums-„Ring“ zu inszenieren, sagte Wagner. Er habe zu ihr gesagt: „Ja, ich möchte es machen.“
Sehr viel Opernerfahrung hat Castorf tatsächlich nicht. In Basel inszenierte er vor 13 Jahren Verdis „Othello“. Im Jahr 2006 brachte er in Berlin Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ mit Schauspielern und einem „Chor der werktätigen Volksbühne“ auf die Bühne - vermengt mit Textbrocken aus Ernst Tollers Revolutionsdrama „Masse - Mensch“, einem mit der Maschinenpistole um sich feuernden Walther von Stolzing und einem kotzenden Trojanischen Pferd. Das „Orchester“ bestand aus zwei Klavieren, Keyboard und fünf Bläsern. Das Motto des Abends: „Versuchsanordnung für Revolutionäre zwischen Schlachtfeld und Spielzimmer, Salon und Knast, Subvention und Subversion“.
Mit Opern-Neulingen wie Christoph Schlingensief, Tankred Dorst und Werner Herzog hat Bayreuth schon einige Erfahrungen gemacht - nicht immer zum Gefallen der konservativen Wagner-Fans. Die alten Stücke sollen auch dem heutigen Menschen etwas sagen, lautet Castorfs Devise. Deshalb sind in seinen Inszenierungen, die zuletzt allerdings etwas glücklos waren, immer aktuelle Bezüge und reichlich Gesellschaftskritik zu finden. Auch bissige Ironie und rüpelnder Klamauk sind fester Bestandteil seiner Arbeiten. Als einer der ersten arbeitete Castorf mit Videokameras. Deren auf Leinwände projizierte Bilder lassen die Zuschauer das Geschehen aus ungewöhnlicher Perspektive erleben.
Zeigt Castorf einen Theaterklassiker, wähnt sich der Zuschauer manchmal im falschen Stück - mit so viel zusätzlichem Textmaterial jongliert der Regisseur. Statt Werktreue bietet er lieber anarchische, assoziative Happenings mit intellektuellen Seitenhieben auf die aktuelle politische Weltlage. Die großen Arien und Chöre bei Wagner werden allerdings den Wiedererkennungseffekt garantieren.
In einem Punkt wird der neue „Ring“-Regisseur aber keine Probleme mit dem Bayreuth-Publikum bekommen. Castorf ist berühmt und berüchtigt für seine überlangen Theaterabende mit locker mal fünf Stunden Dauer. Sitzfleisch versteht sich bei Wagner-Opern aber von selbst, da kann dem Bayreuth-Publikum so schnell keiner was vormachen.
Seit 19 Jahren ist Castorf Intendant der Berliner Volksbühne unweit des Alexanderplatzes - noch bis 2013 läuft sein Vertrag. Stagnation wurde dem regelmäßig auch in Zürich und bei den Wiener Festwochen inszenierenden Regisseur zuletzt vorgeworfen. Seine seit Jahren praktizierten Theatertricks zündeten nicht mehr richtig, hieß es. Vielleicht bringt Bayreuth dem Theatermacher einen neuen Kreativitätsschub - ob Castorf die Wagner-Fans verstört, verärgert oder aufrüttelt, wird sich dann zeigen.
An diesem Sonntag (30.10.) steht Castorf erstmal eine andere Premiere bevor: Am Münchner Residenztheater inszeniert er mit „Kasimir und Karoline“ erstmals ein Werk von Ödön von Horváth - mit Birgit Minichmayr und Nicolas Ofczarek in den Hauptrollen.