Radikal und lyrisch: „Väterchen Franz“ ist verstummt
Hamburg (dpa) - Er war das liedgewaltige Sprachrohr der westdeutschen Linken und kommentierte Jahrzehnte das Zeitgeschehen. Jetzt ist Franz Josef Degenhardts kritische Stimme für immer verstummt. Der am Montag im Alter von 79 Jahren gestorbene Liedermacher zeichnete mit hintersinnigen Balladen das bundesdeutsche Kleinbürgermilieu.
Sein Lied „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ (1965) wird ebenso mit Degenhardt verbunden bleiben wie sein Spitzname „Väterchen Franz“, Titel eines der bekanntesten Protestsongs des engagierten Musikers, der in den 60er und 70er Jahren Kultstatus hatte.
Das Berliner Ensemble widmet dem Musiker am 19. Dezember ein großes Konzert. Geplant war es als Geburtstagsveranstaltung, denn Degenhardt wäre am 3. Dezember 80 geworden. „Wir werden auch nach seinem Tod keine Trauerfeier machen, sondern ihn feiern“, sagte Theatersprecherin Julia Lenze der Nachrichtenagentur dpa am Dienstag. Auftreten sollen alte Weggefährten wie Konstantin Wecker und Hannes Wader, aber auch jüngere Künstler wie der Satiriker Wiglaf Droste.
Überzeugter Kommunist war der im westfälischen Schwelm geborene Degenhardt bis zum Schluss - dem Zusammenbruch des Sozialismus zum Trotz. „Ich bleibe meinen Grundsätzen treu“, sagte Degenhardt, der in Quickborn bei Hamburg lebte, einmal. Sein Lebensmotto war es, Grundsätze, die sich für ihn als richtig erwiesen hatten, nicht aufzugeben. „In dieser Epoche haben wir die Schlacht verloren. Aber es geht weiter. Ich hoffe da ganz auf unsere Enkel und Ur-Enkel.“
Die Konzerte des Politbarden, der noch lange auf Tournee ging, waren immer gut besucht - auch von jüngeren Zuhörern: „Die lieben mich als Urgroßvater des Politsongs“, meinte der Barde einmal in den 90ern. Heute wirken seine gesellschaftskritischen Lieder und Balladen wie Zeugen einer vergangenen Zeit.
Degenhardt, ein Vetter des konservativen katholischen Paderborner Erzbischofs Johannes Joachim Degenhardt (1926-2002), hat auch mehrere Romane mit autobiografischen Zügen verfasst („Zündschnüre“). Ein Roman sei für ihn „wie eine Sinfonie“, ein Lied „wie eine Sonate“, verriet der promovierte Rechtsanwalt einmal in einem dpa-Gespräch: „Wenn ein Lied als Idee im Kopf fertig ist und im Herzen ankommt, komponiere und texte ich. Romane schreibe ich eher systematisch.“
Der Autor, der die Uni-Karriere aufgab, um als Anwalt der Außerparlamentarischen Opposition Mitglieder der Baader-Meinhof- Gruppe zu verteidigen, räumte einmal ein: „Natürlich gibt es manchmal Momente der Verzweiflung. Dann hilft es, laut herauszubrüllen.“ Das Singen sei durchaus eine Form von Therapie, sagte Degenhardt, der 1971 aus der SPD ausgeschlossen worden war, weil er sich im schleswig-holsteinischen Wahlkampf für die DKP eingesetzt hatte.
Die Waffe des politischen Künstlers war das Lied. Radikal und lyrisch, melancholisch und ebenso zynisch, provozierend, aber auch verhalten sind die Songs Degenhardts, der zusammen mit Dieter Süverkrüp und Wolf Biermann die Vorstellung vom Begriff des „Liedermachers“ prägte. Er begann mit Bänkelsongs, die sich am französischen Chanson orientierten, verfasste später sozialkritische Lieder in der Tradition Brechts, Wedekinds und Tucholskys und provozierte mit Agitprop-Liedern.
Unvergleichbar sind Degenhardts Figuren, wie der Vati, der mal mit Rudi Dutschke reden möchte, der alte Sozialdemokrat vor dem Fabriktor, der Kommunist Rudi Schulte oder das Kommissionsmitglied, das einen Kriegsdienstverweigerer befragt. Die frühen aggressiven Töne wichen in späten Jahren einem eher heiteren Zynismus.
Zuletzt war es ruhig geworden um Degenhardt. 2006 veröffentlichte er seine CD „Dämmerung“. Zum 75. Geburtstag erschien das von seinem Sohn Kai, einem seiner drei Kinder, herausgegebene Buch „Franz Josef Degenhardt - Die Lieder“ mit sämtlichen Texten und Noten.
Wie eine Bestandsaufnahme klang es, als Degenhardt Brechts Gedicht „An den Schwankenden“ las: „Wir haben Fehler gemacht, es ist nicht zu leugnen. Unsere Zahl schwindet hin. Unsere Parolen sind in Unordnung. Einen Teil unserer Wörter hat der Feind verdreht bis zur Unkenntlichkeit. Was ist jetzt falsch von dem, was wir gesagt haben? ... Erwarte keine andere Antwort als Deine!“