Regen in Salzburg - Festspiele kein ungetrübtes Vergnügen
Salzburg (dpa) - Wer sich in einer lauen Sommernacht einen Pausensekt vor dem Großen Festspielhaus in Salzburg gönnt während der Vollmond die imposante Festung in magisches Licht taucht, fragt sich nicht mehr, warum es diese Festspiele gibt.
Sondern er genießt den Augenblick.
Leider hat es dieses Jahr sehr oft in Strömen geregnet. Und auch die künstlerische Bilanz des weltbekannten Festivals im letzten Jahr des an die Mailänder Scala wechselnden Intendanten Alexander Pereira ist, gelinde gesagt, gemischt.
Zumindest ästhetisch sind die Festspiele im dritten Pereira-Jahr wieder beim seligen Herbert von Karajan angekommen. Viel Opulenz, viel fantasieloses Rampensingen, wenig Mut zu eigenwilligen Deutungen. Wenn der lettische Regisseur Alvis Hermanis, der mit Verdis „Troubadour“ mit Anna Netrebko und Placido Domingo für einen der Höhepunkte der Festspiele verantwortlich war, allen Ernstes bekennt, er wolle der „altmodischste Regisseur des 21. Jahrhunderts“ werden, spricht das Bände.
Hermanis verlegte die Renaissance-Räuberpistole in ein Bildermuseum mit Alten Meistern. Das war ausnehmend schön anzusehen, intellektuell aber wenig herausfordernd. Den Abend rettete die unvergleichliche Anna Netrebko in der Rolle der Leonora. „Besser als die Callas“, schrieb ein Kritiker über die neue „Primadonna assoluta“.
Der Reigen der Opern-Neuinszenierungen, Herzstück der Festspiele, begann mit „Don Giovanni“ in der Regie von Sven-Eric Bechtolf, der die nächsten beiden Jahre Interimschef der Festspiele sein wird. Seine betuliche Deutung des Mozart-Klassikers mit einer Schar niedlicher Teufelchen zur „Höllenfahrt“ des Frauenverbrauchers wurde ziemlich unisono als Flop gewertet.
Mehr Lob als Tadel dagegen für die Uraufführung der neuen Oper „Charlotte Salomon“ des Franzosen Marc-André Dalbavie, ein Prestigeprojekt Pereiras. Manche Kritiker fanden zwar, dass Dalbavies Musik zu der tragischen Lebensgeschichte der jüdischen Malerin Charlotte Salomon, die in Auschwitz ermordet wurde, allzu süffig-neoimpressionistisch klang. Doch Luc Bondys stimmige Inszenierung und ein hoch engagiertes Sängerteam zerstreuten die meisten Zweifel.
Pereira ist bekannt dafür, namhafte „Altmeister“ zu engagieren. Mit Harry Kupfer tat er einen guten Griff. Der 79-jährige Berliner sorgte mit seiner Inszenierung von Richard Strauss' „Rosenkavalier“ für den wohl größten Erfolg der diesjährigen Festspiele, was auch Hans Schavernochs Bühnengestaltung mit poetischen Wien-Projektionen zu verdanken war. Über Peter Steins „Fierrabras“, eine selten gespielte Oper von Franz Schubert im romantischen Ritter-Milieu, mochten die Kritiker lieber den Mantel des Schweigens decken. „Unfreiwillig komisch“ - so eines der gelindesten Urteile.
Das Theaterprogramm stand ganz im Zeichen des 100. Jahrestages des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges. Schließlich war die Gründung der Salzburger Festspiele mit ihrem Völker verbindenden Anspruch auch eine Reaktion auf diese „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts. Als Einspringer für den geschassten Burgtheater-Chef Matthias Hartmann wuchtete der Linzer Regisseur Georg Schmiedleitner Karl Kraus' eigentlich als unspielbar geltendes Mega-Opus „Die letzten Tage der Menschheit“ auf die Bühne. Die Urteile fielen gemischt aus. Zumindest in einem war man sich einig: Helmut Qualtingers auf CD verfügbare Lesung dieses Jahrhundert-Stoffes dürfte schwer zu toppen sein.
Als technisch höchst aufwändiges „Making off“ eines Dokumentarfilms auf offener Bühne inszenierte die britische Regisseurin Katie Mitchell die Lebensgeschichte der Familie des Chemikers Fritz Haber, der mit dem Giftgas im Ersten Weltkrieg die erste Massenvernichtungswaffe erfunden hatte. „Zu wenig Theater“ befanden manche Kritiker. Trotzdem berührte die emotionale Wucht des Stoffes, der vor allem die Ohnmacht der Frauen im Krieg thematisierte. Der Krieg rückte den Zuschauern auch in Andreas Kriegenburgs Inszenierung von Ödön von Horváths selten gespieltem Drama „Don Juan kommt aus dem Krieg“ auf die Pelle. Auch hier drohte das Spektakel nach Art einer 20er-Jahre-Revue die inhaltliche Botschaft zu überwuchern.
Das Konzerprogramm wirkte zusammengestoppelt, ohne rechte Dramaturgie. In Erinnerung blieben eine als „Ereignis“ gewertete Aufführung von Monteverdis „Marienvesper“ unter John Eliot Gardiner im Salzburger Dom, ein Liederabend des begnadeten Baritons Christian Gerhaher, Mozarts letzte drei Symphonien, von Altmeister Nikolaus Harnoncourt als zusammenhängendes „Instrumental-Oratorium“ interpretiert, und der Zyklus mit sämtlichen Beethovenschen Klaviersonaten von Rudolf Buchbinder. Nicht zu vergessen ein magischer Chopin-Abend mit dem russischen Wunder-Pianisten Grigory Sokolov, der die begeisterten Zuhörer mit sechs Zugaben in die Vollmondnacht entließ.