Rolando Villazón: „Ich könnte ohne Puccini leben, aber nicht ohne Verdi“

Rolando Villazón über seinen Lieblingskomponisten, den Tod, und warum er manchmal mit den Händen spricht.

München. Der Tourkalender von Rolando Villazón ist immer noch prall gefüllt. Jetzt dreht sich alles um sein neues Verdi-Album, das Anfang des Monats veröffentlicht wurde. Villazón braucht die Vielfalt. „Ich bin mehr als ein Tenor“, sagt der Künstler.

Herr Villazón, 2013 ist das große Verdi-Jahr. Zum 200. Geburtstag wird der Komponist überall geehrt. Welchen besonderen Draht haben Sie zu ihm?

Rolando Villazón: Ich könnte ohne Puccini leben, obwohl ich Puccini liebe. Auch ohne Massenet oder Gounod. Ohne Verdi könnte ich nicht leben. Meine erste Oper, die ich mit 15 gesehen habe, war „Aida“ von Verdi, meine ersten bedeutenden Rollen habe ich von Verdi gesungen. Ich werde ihn auch in 20 Jahren noch singen.

Was ist das Besondere an Verdi?

Villazón: Verdi ist wie ein wundervoller seriöser Großvater. Das Besondere an Verdi ist Verdi.

Die Stücke auf dem neuen Album schnüren einem teilweise die Luft ab — so viel Dramatik und Herzschmerz. Was fühlen Sie beim Singen?

Villazón: Es gibt zwei Herausforderungen. Eine ist athletisch, physisch. Verdi ist sehr schwierig zu singen. Dann kommt die künstlerische Freude. Wenn die da ist, kommt die Geschichte. Man springt vom technischen zum künstlerischen, poetischen Moment. Das ist mal piano, mal böse und stark, mal leidend.

Nennen Sie ein Beispiel.

Villazón: In „Don Carlos“ ist er sehr verletzlich. Oder die letzte Arie auf meinem Album, „Dal labbro il canto estasiato vola“, da ist es hocherotisch. Leider kommt bei der Bühnenproduktion eine andere Rolle dazwischen. Sonst würden die Hauptfiguren Fenton und Nannetta sofort Liebe machen.

Viele Klassikmusiker sind introvertiert. Sind Sie der freche Exhibitionist?

Villazón: Ich bin sehr schüchtern. Wenn ich in einem anderen Kontext bin, auf einer Party, wo ich niemanden kenne, sitze ich sehr schüchtern da. Aber wenn ich ins Fernsehen gehe und über etwas sprechen kann, was ich liebe, wie Verdi, dann spreche ich so laut und mit meinen Händen.

Woran liegt das?

Villazón: Ich will den Leuten sagen, dass Klassik in unsere Zeit gehört und modern ist. Ich arbeite auch als Clown im Krankenhaus, der muss locker sein. Aber Intensitäten im Charakter sind mal so, mal so, die sind implosiv. Ich bin ja auch nicht nur Sänger, sondern Sänger ist ein Teil von mir und ich bin Ich. Ich singe als Tenor, aber ich bin mehr als ein Tenor.

Sie haben Hoch- und Tiefpunkte in Ihrer Karriere hinter sich. Haben Sie manchmal Angst, dass ein Tiefpunkt bleibt?

Villazón: Mit Angst kann man nicht leben. Jede Karriere hat Hoch-Runter-Phasen. Ich habe offen darüber gesprochen, andere tun das nicht. Aber ich weiß das von Kollegen: Alle haben Krisen. Wie man wieder herauskommt, das macht die Kontinuität der Karriere aus. Ich musste schon durch Sümpfe schwimmen und habe in dem schmutzigen Wasser so etwas wie eine Blume gefunden, die man nur da hätte finden können. Ich bin dankbar für meinen Weg.

Verdi ist schon unsterblich. Was ist mit Ihnen?

Villazón: Glücklicherweise werde ich sterben. Ich bin hier, und bin stolz, dass ich so unglaubliche Musik singen darf. Aber eines Tages werde ich nicht hier sein. Es wird ein anderer kommen, der stolz ist, so unglaubliche Musik zu singen. Wenn ich sterbe, dann hoffentlich ohne Schmerzen.

Das kann man ja leider nicht selbst bestimmen.

Villazón: Wenn es dem Körper nicht gut geht, dann würde ich wahrscheinlich so ein Gift trinken in der Schweiz. Aber erst in 150 Jahren. (lacht) Wir Mexikaner haben keine Angst vor dem Tod. Wir tanzen mit dem Tod und lachen darüber.