Schaulaufen auf dem Rollfeld: Szenetreffpunkt „M'era Luna“
Hildesheim (dpa) - Eine Frau auf riesigen Stelzen stolziert durch die Menschenmenge, bekleidet nur mit einer knappen Korsage und einem wallenden silbernen Umhang.
Immer wieder muss die blonde Frau für Fotografen posieren. Wenige Meter weiter steht ein Paar, das gerade dem viktorianischen Zeitalter entsprungen zu sein scheint. Und irgendwo posiert ein Mann im flauschigen rosa-grünen Drachenkostüm und holt eine Flasche Apfelkorn aus der Tasche. Das „M'era Luna“ ist schon ein ganz besonderes Musik-Festival.
Hier fällt eigentlich derjenige am meisten auf, der ganz „normal“ in Jeans und T-Shirt herumläuft. Denn das inoffizielle Motto auf dem Hildesheimer Flugplatz lautet „sehen und gesehen werden“. Das gilt auch für Christina aus Wien. Die 36-Jährige hat sich als „grüne Absinth-Fee“ zurechtgemacht. Sie trägt ein grünes Kleid mit künstlichen Efeu-Blättern und Flügeln auf dem Rücken. „Das habe ich selbst gemacht“, sagt die Österreicherin stolz. Auch ihr Gesicht hat sie sich weiß und grün geschminkt. „Das ist die Freude am grenzenlosen Ausleben dieses Hobbys“, beschreibt die Wienerin die Faszination „M'era Luna“.
Seit dem Jahr 2000 wird das „M'era Luna“-Festival auf dem Hildesheimer Flugplatz veranstaltet. Bereits das zweite Jahr in Folge ist das Festival ausverkauft: 25 000 Menschen aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland strömten am Wochenende in die Stadt am Fluss Innerste. Die große Anziehungskraft liegt auch an bekannten Bands wie Subway to Sally, And One oder Within Temptation. Viele Fans waren zudem eigens wegen des Auftritts von US-Schockrocker Marilyn Manson gekommen, der für seine spektakulären Bühnenshows bekannt ist. Insgesamt traten rund 40 Bands auf zwei Bühnen auf.
In den vergangenen Jahren hat sich das Festival immer mehr zu einem riesigen Szenetreffpunkt entwickelt. Es gibt Lesungen, Modeschauen und viele Stände, an denen man sich mit den passenden Outfits und Accessoires eindecken kann. Zur „schwarzen Szene“ gehören längst nicht nur die schwarz gekleideten „Grufties“. Auch „Steampunks“ etwa , bei deren Outfit viktorianische Kleidung mit futuristischenAccessoires kombiniert wird, laufen auf dem„M'era Luna“ herum .
Aber auch viele Fans der Mittelalter-Szene sind auf dem Festival anzutreffen. Zu ihnen zählen Daniela Hör und ihre 14-jährige TochterKiara aus Selsingen im Kreis Rotenburg (Wümme ), die eng geschnürte Mieder über weißen Blusen tragen.„Alle werden so akzeptiert wie sie sind“, freut sich Daniela Hör, die im richtigen Leben als Reinigungskraft arbeitet und auf Mittelaltermärkten und Festivals in eine ganz andere Rolle schlüpfen kann.
„Man kann auch mal Blödsinn machen“, sagt die 40-Jährige. „Die gesellschaftlichen Zwänge sind nicht da.“Dieser Teil der Fans kommt nicht nur bei Bands wieHeimataerde , die in mittelalterlichen Kostümen auftreten,auf seine Kosten, sondern auch beim Mittelaltermarkt auf dem Festivalgelände.
Trotz der teils martialischen und blutrünstigen Outfits gibt es auf dem „M'era Luna“-Festival praktisch nie Probleme mit Gewalt oder Kriminalität. „Alle sind friedlich“, freut sich beispielsweise Markus Schmidberg aus dem hessischen Willinghausen, der ein „Cyber-Goth “-Outfit mit Gasmaske und Schweißerbrille trägt.Auch für ihn spielt das Verkleiden eine große Rolle.
„Man will sich auch zeigen“, sagt der 46-Jährige. „Normalerweise trage ich Blaumann.“ Im echten Leben baut SchmidbergHeizungen und Solaranlagen.