Schöne Geschichten von John K. Samson und Matt Pryor
Berlin (dpa) - Moderne nordamerikanische Folkmusik von echten Storytellern - immer wieder schön. Erst recht, wenn die Geschichten aus dem Herzen des Kontinents von so versierten Songwritern wie John Kristjan Samson und Matt Pryor erzählt werden.
Die Namen mögen zunächst für Stirnrunzeln sorgen, aber wenn man die Herkunft der beiden kennt, macht's Klick. Samson ist eigentlich Sänger der kultigen US-Indierockband The Weakerthans und legt nun mit „Provincial“ (Grand Hotel van Cleef/Indigo) ein sehr schönes Soloalbum vor. Ebenso gelungen ist „May Day“ (Arctic Rodeo), die zweite Soloplatte von Matt Pryor, der als Sänger/Gitarrist der Get Up Kids und von The New Amsterdams zumindest in Fachkreisen bekannt wurde.
Samson hatte vermutlich eine zeitgemäße Version von Bruce Springsteens berühmter Provinz-Schilderung „Nebraska“ (1982) im Sinn, als er seine Lieder über einsame Menschen und eisige Landschaften von Manitoba (Kanada) entwarf. Ganz so düster sind die meisten der zwölf „Provincial“-Songs nicht, und mit „Longitudinal Centre“ ist auch ein Geradeaus-Rocker im Weakerthans-Stil dabei.
Doch insgesamt erzählt Samson seine mitfühlenden Geschichten in sehr gedämpftem Tonfall. „Highway 1 East“ beginnt allein mit freundlich-melancholischer Stimme und windschiefen Bläsern im Stil eines uralten Kirchenliedes. Gedoppelter Gesang, zarte Akustikgitarre und etwas Klavier prägen „Inpetitions“, ein knarrender Kontrabass und Cello das anschließende „The Last And“. Das geradezu hymnische „Highway 1 West“ wird von einem prächtigen Gitarrensolo gekrönt.
Mit „Provincial“ hat John K. Samson einem weithin unbekannten Landstrich seines Heimatlandes Kanada ein musikalisches Denkmal gesetzt. Wenn man dieses Album hört, möchte man nicht unbedingt in Manitoba leben - ebenso wenig wie man sich seinerzeit nach Springsteens spukigem Nebraska sehnte. Aber man versteht die Menschen etwas besser, die es in die Einöde von Manitoba verschlagen hat. Und das ist große Songwriter-Kunst.
Seine Lieder aufs Notwendigste zu beschränken, das war auch der Ansatz von Matt Pryor für seine zweite Soloplatte jenseits diverser Bandverpflichtungen. Im trotzigen Opener „Don't Let The Bastards Get You Down“ umspielen nur wenige Gitarrenakkorde seine helle Stimme, ehe es in den nächsten Songs mit Schlagzeug, dylanesker Mundharmonika, Banjo und Piano etwas opulenter zugeht.
Pryor hat das Album mit Hilfe des Fanportals Kickstarter finanziert, Freunde seiner Musik steckten also per Internetzuwendung Geld in diese Soloplatte. In kürzester Zeit wurde das finanzielle Ziel erreicht, und der US-Amerikaner aus Kansas City konnte sich mit klarer Deadline - Mai 2011, daher der Albumtitel „May Day“ - an die Arbeit machen. Immer häufiger hört man in den Krisenzeiten der Musikindustrie von solchen fan-finanzierten Projekten.
Pryors Geldgeber können jedenfalls stolz auf das Ergebnis sein. Drauflos gerockt wie bei den Get Up Kids wird hier nicht, stattdessen dominiert introvertiertes Songwriting mit leicht depressiv anmutenden Bandwurmtiteln wie „Unhappy Is The Only Happy That You'll Ever Be“ oder „You Won't Get Any Blood From Me“. Karge Balladen wie „What My Tired Eyes Would View“ berühren auf ihre ganz bescheidene Weise. Jedes der zwölf Lieder kann man sich in einer Lagerfeuer-Version oder in einem Wohnzimmerkonzert vorstellen.
Der oft totgesagte Folk ist mit Erfolgsbands wie Mumford & Sons oder Fleet Foxes längst wieder ein lukratives Popgenre. Die wurzelnahe Musik von John K. Samson und Matt Pryor blüht dagegen eher im Verborgenen, aber nicht weniger wertvoll.