Seventies-Softpop lebt: Neue Alben zum Mini-Trend

Berlin (dpa) ­ Der harmonieselige Westcoast-Pop der Siebziger Jahre war lange Zeit als naive Süßholzraspelei verschrien. Doch auch ein noch so negatives Kritiker-Urteil hält nicht ewig.

Jetzt erlebt auch dieser auf reinen Wohlklang abzielende Stil eine liebevolle Rehabilitierung durch eine ganze Reihe junger amerikanischer Musiker. Die beiden brandneuen Trio-Projekte Fistful Of Mercy und Incarnations gehören dazu.

Der eigentlich eher uncoole Mini-Trend zeichnete sich im US-Pop schon eine ganze Weile ab. Der mittlerweile in Spanien lebende Amerikaner Josh Rouse war einer der Vorboten. Mit dem phänomenalen Erfolg der Fleet Foxes vor zwei Jahren wurde der perfekte Chorgesang bärtiger Männer dann schlagartig wieder populär. In diesem Jahr ließen es beispielsweise die kalifornischen Chief oder der Wilco-Ableger The Autumn Defense so entspannt-harmonisch angehen, dass man sich gleich an den herrlichen Radiopop der Seventies erinnert fühlte.

Die sonnigen Harmonien von Crosby, Stills and Nash, von America oder den Eagles haben auch für das Debüt von Fistful Of Mercy Pate gestanden. Hinter dem Bandnamen verbergen sich drei erfahrene Musiker: Ben Harper (41) ist seit vielen Jahren ein anerkannter Folk- und Blues-Gitarrist und Sänger; Joseph Arthur (39) hat schon mit Peter Gabriel und anderen Großen zusammengespielt; Dhani Harrison ist der 32 Jahre alte Sohn des „stillen Beatle“ George Harrison.

Ihr mit dem grandiosen Session-Drummer Jim Keltner eingespieltes Album „As I Call You Down“ zeugt nun mit jedem Ton von der gemeinsamen Begeisterung für die populäre Musik der Elterngeneration. Nach einem gemeinsamen Auftritt von Harper und Arthur in Los Angeles im Januar wurde Harrison junior als dritter Gitarrist hinzugeholt, und man spielte neun gemeinsame Songs ein.

Die unterschiedlichen Stimmlagen zwischen Falsett und dunklem Bariton werden vor allem auf der leicht psychedelischen Hymne „Restore Me“ ausgereizt. Aber auch das schräge Klavierstück „Things Go Round“, das wunderschöne, streicherverzierte „Fistful Of Mercy“, der angeraute Blues von „Father's Son“ oder das Instrumental „30 Bones“ sind überaus reizvolle Song-Kleinode. Mit dem abschließenden Gitarrenpop von „With Whom You Belong“ nehmen Harper/Arthur/Harrison auch textlich die unschuldige Friede-Freude-Eierkuchen-Harmonie ihrer Musik auf.

Deutlich rhythmischer, aber nicht weniger Seventies-lastig geht es auf „With All Due Respect“ zu, dem aus einem Strandurlaub resultierenden Debüt des US-Trios Incarnations. Neben den oben genannten Einflüssen sind hier auch Motown-Soul („I Should've Known“) oder der glitzernde Pop von Steely Dan („Make You Mine“) und Hall & Oates („The Selfish Guy“) als Inspirationsquellen herauszuhören.

Die Grooves und Gitarrensoli klingen muskulöser als bei Fistful Of Mercy, als virtuose gespielte und arrangierte Hintergrundmusik sind die meisten Songs aber dennoch zu gebrauchen. Das Projekt besteht aus dem talentierten kalifornischen Softpop-Sänger Bart Davenport sowie Daniel Collás und Bing Ji Ling von den Retro-Funkpoppern Phenomenal Handclap Band. Man merkt auch diesen drei Musikern an, mit wieviel Euphorie sie die Plattensammlung ihrer Eltern durchstöbert haben.

„Let Love Find You“ mit klassischen Harmony Vocals und bekifftem Synthesizer-/E-Piano-Solo wirkt dermaßen aus der Zeit gefallen, dass es schon fast wieder futuristisch ist. Auch das auf die Beatles in ihrer Indien-Phase anspielende „Hindi Ko Alam“ mit viel Hammond-Orgel und Mundharmonika ist ein ebenso harmloser wie charmanter Spaß. Das Meeresrauschen zwischen den neun Songs erinnert unweigerlich daran, wo die meisten Ideen für diese Platte entstanden sein dürften.

Fistful Of Mercy und Incarnations: Zwei augenzwinkernde, aber durchaus ernstzunehmende Hommage-Projekte, die die amerikanische Sommerpop-Welle verlängern ­ wenn auch mitten im kalten Winter: Beide Debütalben sind in Deutschland Ende November erschienen, als der erste Schnee fiel.