Simone Felice als Songwriter und Romanautor
Berlin (dpa) - Vielleicht hätte Bob Dylan in jüngster Zeit mal einen Roman veröffentlichen sollen, um dem Literatur-Nobelpreis näher zu kommen. Ganz sicher könnte der wichtigste Songwriter der Rockmusik auch den Platz zwischen zwei Buchdeckeln mit einer spannenden Geschichte füllen.
Diverse Kollegen hatten da zuletzt weniger Hemmungen - und manch gute Idee. Nach Nick Cave, Willy Vlautin, Steve Earle und Josh Ritter bringt nun auch der 35-jährige Simone Felice einen Roman heraus - zeitgleich mit seinem ersten Album unter eigener Flagge.
„Das sind zwei Äste vom selben Baum“, sagt der an eine moderne Western-Figur erinnernde hagere Mann aus den Catskill Mountains im US-Bundesstaat New York über die Genres Songwriting und Literatur. „Ihre Blätter unterscheiden sich in Farbe und Form, aber sie haben dieselben Wurzeln.“ Die Verwandtschaft zwischen seinem Album „Simone Felice“ (V2 Benelux) und dem Romandebüt „Black Jesus“ (Heyne Hardcore) verwundert also kaum. Gemeinsam ist den Texten das tiefe, ehrliche Mitgefühl für Verlierer-Typen im heutigen Amerika, das für Felice längst nicht mehr „God's own country“ ist.
Felice hat sich als Songwriter, Sänger und Schlagzeuger der Folkrock-Truppe The Felice Brothers (2006 bis 2009) einen Namen gemacht. Danach veröffentlichte er zwei gefeierte Platten mit der Band The Duke & The King (benannt nach den beiden skurrilen Ganoven aus Mark Twains „Huckleberry Finn“). Dann kam die Wende: Bei einer komplizierten Herzoperation sprang Felice vor zwei Jahren dem Tod von der Schippe und beschloss, seine literarischen und musikalischen Ambitionen nicht länger zu verbergen.
Die von Gitarre, Klavier und Orgel getragenen Pop-Vignetten seines Solo-Albums bestätigen Felices Ruf als einer der wichtigsten jüngeren US-Songpoeten. In zehn vertonten Short Stories und Porträts („Courtney Love“, „Ballad Of Sharon Tate“) tritt Felice nicht nur als sensibler Folk-, Soul- und Gospel-Sänger hervor - den kannte man schon vorher. Doch wie er etwa im Lied „New York Times“ die Moritat vom Indianer Eddie Blackbird mit dem blutigen Irak-Feldzug verknüpft und über den sittlichen Verfall seines Landes räsoniert - das hat ein Niveau, wie man es selbst von Felice nicht unbedingt erwarten durfte.
Die Folgen des Krieges für die US-Gesellschaft bilden auch den Hintergrund von Felices Roman-Erstling: „Black Jesus“ ist ein rustikales Werk, mit kargen, rauen Sätzen und einer auf wenige Tage verdichteten Handlung - noch kein Meisterwerk, aber eine respektable Talentprobe. Die Titelfigur, ein in der Bomben-Hölle von Bagdad erblindeter Kriegsveteran, schafft nach der Heimkehr ins White-Trash-Milieu seiner treu sorgenden Mutter einen holprigen Neubeginn. „Er trägt auch Wunden, die man nicht sehen kann“, sagt der Autor über seinen gebrochenen Helden. „Und sein Land ist gar nicht scharf darauf, dass er sehen kann, was um ihn herum so los ist.“
Am Ende ist Lionel White alias Black Jesus zwar immer noch blind, aber er hat in der gleichfalls schwer traumatisierten Tänzerin Gloria eine Gefährtin gefunden. „Die vielleicht wirksamste Medizin, die es für uns gibt, ist die Liebe“, sagt Felice über den hoffnungsvollen Ausgang seines Romans, dessen Grundstimmung an die Werke des Songwriter-Kollegen Willy Vlautin erinnert. Der Frontmann der US-Band Richmond Fontaine hat mit „Motel Life“, „Northline“ und „Lean On Pete“ bereits drei Bücher veröffentlicht. Auch bei Vlautin sind Parallelen zwischen düsteren Folkrock-Balladen und der melancholischen Weltsicht seiner Bücher unverkennbar.
Felice und Vlautin sind eine Art Speerspitze der literarisch ambitionierten Singer/Songwriter - und es werden mehr. Der begabte Indie-Rocker Josh Ritter fühlt sich schon lange zu Höherem berufen. Sein Romandebüt „Bright's Passage“ - die Geschichte eines US-Heimkehrers aus dem Ersten Weltkrieg - wurde kürzlich unter anderem von Stephen King in den höchsten Tönen gelobt. Dem Countryrock-Veteranen Steve Earle gelang ein Überraschungserfolg mit seinem Erstling „I'll Never Get Out Of This World Alive“. Und Nick Cave erwies sich bereits vor einigen Jahren mit „Der Tod des Bunny Munro“ als frivol-gewitzter Romanautor jenseits seiner Rocksongs.