Starke Stimmen: Rumer, Kelly Hogan, Fiona Apple

Berlin (dpa) - Drei große Sängerinnen, drei starke Stimmen - und drei Alben, wie sie abwechslungsreicher kaum sein könnten: Der Juni hat Neues von der Wohlklang-Fetischistin Rumer, Südstaaten-Lady Kelly Hogan und der immer rätselhafteren Fiona Apple im Angebot.

„Seasons Of My Soul“ von Sarah Joyce alias Rumer, einer Britin mit pakistanischen Wurzeln, kam vor knapp zwei Jahren gerade recht, um vom Retro-Soul-Boom zu profitieren. Das elegant produzierte Debüt im Songwriter-Stil der 60er und 70er Jahre (Burt Bacharach, The Carpenters, Carole King, Dionne Warwick) beschallte Bars, Boutiquen und Cocktailpartys - es war aber auch ach so schön, dass man von Kitsch gar nicht reden mochte (obwohl es manchmal nah dran war).

Dieses enorm erfolgreiche Softpop-Album schnöde zu wiederholen, war nicht die Absicht Rumers, und so trat sie mit „Boys Don't Cry“ (Atlantic) quasi einen Schritt zurück. Inspiration fand die 33-Jährige erneut in der Vergangenheit: diesmal also nicht eigene Songs im Sound einer gut 40 Jahre zurückliegenden Pop-Ära, sondern gut abgehangene Stücke berühmter Songschreiber (allesamt mehr oder weniger sensible Männer, daher die Anspielung des Albumtitels).

Lieder von Jimmy Webb, Todd Rundgren, Gilbert O'Sullivan, Bob Marley oder Neil Young interpretiert Rumer meist etwas weniger üppig als nach dem Debüt erwartet, aber doch so smooth, dass es Fans nicht irritieren sollte. Mit „Soulsville“ (im Original von Isaac Hayes) gelingt ihr eine stilechte Verbeugung vor dem Soul der frühen 70er, mit „My Cricket“ (Leon Russell) ehrt sie den Country-Pop jener Zeit. Alles in allem ein perfekt arrangiertes, makellos gesungenes Album, für das man freilich im entspannten Easy-Listening-Modus sein sollte - sonst könnte es langweilig werden.

Stilistisch nicht ganz unähnlich zwischen Pop, Country-Folk und Soul, aber doch herber und zupackender als Zart-Sängerin Rumer agiert Kelly Hogan aus Atlanta/Georgia auf ihrem neuen Werk „I Like To Keep Myself in Pain“ (Anti/Indigo). Auch sie interpretiert - bis auf den eigenen Song „Golden“ - Fremdmaterial, das allerdings von zeitgenössischen Songwritern extra für sie geschrieben wurde.

Großartig etwa der perfekte Pop von „We Can't Have Nice Things“ (Andrew Bird) oder der Titelsong, ein Country-Schleicher aus der Feder des legendären Robyn Hitchcock. Höhepunkte dieser äußerst geschmackvollen Liedersammlung: die Mitternachtsballade „Daddy's Little Girl“ (M. Ward) und Vic Chesnutts bewegender Gospel „Ways Of This World“, in dem Kelly Hogan die ganze Pracht ihrer klaren Stimme entfalten kann. Auch die Band hat Top-Niveau, unter anderem mit legendären Musikern wie Booker T. Jones (Orgel) oder James Gadson (Schlagzeug).

Während Rumer plüschig und Kelly Hogan smart-burschikos daherkommen, muss man sich Fiona Apples neue Platte bisweilen hart erarbeiten. Die Amerikanerin gilt als kompliziert, verletzlich, vielleicht sogar etwas irre - und genial. Dazu passt natürlich ein Album mit dem Bandwurmtitel „The Idler Wheel Is Wiser Than The Driver Of The Screw And Whipping Cords Will Serve You More Than Ropes Will Ever Do“ (Clean Slate/Epic).

Dies ist erst Apples viertes Werk seit 1996, alle Vorgänger waren atemberaubende Selbstentblößungen mit den Mitteln eines verspielten, nicht immer leicht verdaulichen Piano-Pops. „The Idler Wheel...“ setzt in punkto Sperrigkeit noch eins drauf. Zumal diesmal ihr langjähriger Wegbegleiter Jon Brion nicht mit an Bord war und das Album recht spartanisch produziert wurde.

Meist sind nur diese mächtige dunkle Stimme, ein perkussiv eingesetztes, manchmal bewusst windschiefes Klavier und nervöse Drum-Sounds zu hören. Wenn aus Fiona Apple in „Daredevil“ oder „Jonathan“ die Wut herausbricht, wenn sie in „Regret“ urplötzlich drauflosbrüllt, dann wird es ungemütlich. Und man macht sich Sorgen um dieses inzwischen 34-jährige Ex-Wunderkind, das seine Boyfriends in der Künstlerszene von Hollywood suchte, aber offenkundig dabei nicht glücklich wurde.

Wer eine große Stimme ohne Schrammen und gefällige Klänge ohne Kanten hören will, sollte sich diese 42 Minuten Seelenstriptease nicht antun. Für Musikhörer mit offenen Ohren dagegen ist der avantgardistische Jazz-Pop von Fiona Apple erneut eine Offenbarung. Kein Album für jede Stimmung (ja, es kann auch mal schlechte Laune machen oder nerven), aber eines mit Langzeitwirkung. Und, da muss man kein Prophet sein: Eine Platte für die Bestenlisten 2012.