The Naked and Famous: Mehr als Sommer und Flaschenbier
Die neuseeländische Band The Naked and Famous überrascht nach dem fröhlichen Ohrwurm „Young Blood“ mit einem reifen Album.
Kennt irgendjemand noch The Hoosiers? Hockey? The Plain White Ts? Jede dieser Bands hatte einen Song, der allgegenwärtig war. Alle drei Bands galten als das neue große Ding und wurden zu den Rettern des Musikbusiness (bestenfalls) oder des guten Geschmacks (mindestens) ausgerufen. Sie firmierten allesamt unter dem Label Indie-Pop. Und alle drei sind komplett von der Bildfläche verschwunden.
Stellt sich jetzt die Frage: Kennt irgendjemand The Naked and Famous? Das ist ebenfalls eine Band — Indie-Pop aus Neuseeland, ganz heiß, völlig unbekannt. Aber auch ihren ersten großen Song kennen alle, „Young Blood“ lief überall schon rauf und runter: Der TV-Musiksender „Viva“ machte ihn zum hauseigenen Soundtrack. Beim Trend-Radiosender „Einslive“ ist er fester Bestandteil der Playlist.
In den USA lieferte er die Hintergrundmusik zu Serien wie „Vampire Diaries“, „Covert Affairs“ oder „Gossip Girl“. Auch der Trailer zum neuen Disney-Teenie-Film „Prom“, der demnächst in den Staaten anläuft, kam nicht ohne „Young Blood“ aus. Und nun wurde der Song zusammen mit zwölf anderen Stücken auf dem Debütalbum „Passive Me, Aggressive You“ der Band veröffentlicht. Eine neue Runde im Spiel „Eintagsfliege oder Lebensretter“ ist eröffnet.
Indes: Bei The Naked and Famous, für die englische BBC schon jetzt einer der „Newcomer 2011“, könnte der Fall tatsächlich anders liegen. Und das hat rein gar nichts mit „Young Blood“ zu tun, diesem Song, den in ein paar Wochen jeder vergessen haben wird. Es ist ein Ohrwurm mit Handklatschern, Hintergrundchören und tollen Synthesizer-Melodien, der Liebe und Müßiggang anpreist und nach Sommer und jungen Paaren klingt, die knutschend am Strand liegen und trendiges Flaschenbier trinken.
Wären dieses Szenario und dieser Song maßgeblich für „Passive Me, Aggressive You“, dann könnten sich Bandgründer Thom Powers (Gesang) und Alisa Xayalith (Gesang, Gitarre) sowie ihre Kollegen Aaron Short (Elektronik), David Beadle (Bass) und Jesse Wood (Schlagzeug) als junge Menschen Anfang 20 jetzt schon mal nach einem Ausbildungs- oder Studienplatz umschauen.
Aber da ist ja noch der Rest des Albums. Der besteht zwar auch aus weiteren zwölf Ohrwürmern, die allesamt irgendwie jung im Sinne von zeitgemäß klingen. Aber letztlich hat jeder Song auch etwas Erwachsenes, Reifes, mitunter Düsteres an sich, weil The Naked and Famous keinen Gute-Laune-Pop spielen, sondern Electronica, Noise-Rock, melancholisches Akademiker-Geschrammel und Trip-Hop.
Mit dieser Vielseitigkeit hängen sie alle anderen Eintagsfliegen ab. Zudem sind es bei ihnen die kleinen Momente, nicht die lauten „Shalalas“, die eine Gänsehaut bescheren: treibende Bassläufe, Xayaliths Sirenengesang-Ausbrüche, kurze, aber knackige Gitarrensoli, krachende Bass-Drum-Sequenzen, Keyboard-Melodien aus maximal drei bis vier unwiderstehlich aneinander gereihten Noten. Gelernt haben sie all das an den richtigen Stellen: bei MGMT, Bloc Party, Massive Attack und den Strokes. Mit diesen Bands wuchsen die Neuseeländer auf. Und keine dieser Bands klingt nach Sommer, verliebten Teenie-Pärchen und dünnem Bier.
Sie alle haben ihre Momente der Aggression, der wehmütigen Hingabe und des Irrsinns. Also: The Naked and Famous mögen noch halbe Kinder sein, und man stellt sie sich im Studio denn auch vor wie kleine Naseweise, die auf einen riesigen Haufen aus technischem Krimskrams und Instrumenten gesetzt werden und munter drauflos basteln. Aber dieses Basteln — es hat rein gar nichts mit Bauklötzen zu tun.