Verdis „Troubadour“: Startenor als zersägte Jungfrau
München (dpa) - Dann kam es, das hohe „C“. Nicht gerade strahlend, aber gut zentriert. Jonas Kaufmann hatte geliefert. Die berühmte „Stretta“ aus Giuseppe Verdis „Il trovatore“ („Der Troubadour“) sang der weltweit umschwärmte Künstler gleich zweimal.
Zuerst sitzend und ohne „C“, das zweite mal stehend, wie es sich gehört für den stolzen Manrico, der sich anschickt, seinen Erzfeind und Konkurrenten um die Gunst der schönen Leonora, den Grafen Luna, im Kampf zu besiegen. Kaufmann traf den ersehnten Spitzenton mühelos und versetzte das Publikum bei der Eröffnungspremiere der Münchner Opernfestspiele am Donnerstagabend in den erwarteten Ausnahmezustand.
Zum Ereignis wurde die Neuinszenierung jedoch erst durch die Leonora von Anja Harteros. So anrührend hat man die Arie „Auf den rosigen Flügeln der Liebe“ selten gehört. Harteros bot dem Publikum, neben mühelosen Koloraturen, was der allzu druckvoll singende Kaufmann oft vermissen ließ: Innigkeit und lyrische Emphase. Harteros stellt die Machos, die um sie buhlten, mühelos in den Schatten, und ließ sich auch von dem phonstark aufspielenden Bayerischen Staatsorchester unter Paolo Carignani nicht zudecken.
Mit den Gesetzen der Logik ist die Geschichte des Troubadours mit ihren zahlreichen Rückblenden und Traumerzählungen schwer zu greifen. Eine Zigeunerin wurde auf dem Scheiterhaufen verbrannt, weil sie angeblich das Kind eines Grafen verzaubert hat. Deren Tochter Azucena will dessen Sohn verbrennen, wirft jedoch versehentlich das eigene Kind ins Feuer. Schließlich entführt sie den Buben, der später als Offizier gegen den anderen Sohn des Grafen kämpft. Fatalerweise sind beide in dieselbe Frau verliebt. Es kommt zu einem Kampf auf Leben und Tod, an dessen Ende, bis auf den jungen Grafen Luna, fast alle tot sind. Und Luna muss mit der Schuld weiterleben, unwissentlich den eigenen Bruder getötet zu haben.
Regisseur Olivier Py versuchte erst gar nicht, der reichlich konstruierten Gruselstory einen höheren Sinn abzutrotzen, sondern setzte auf puren Aktionismus. Die Drehbühne mit den düsteren, in kaltes Neonlicht getauchten Bauten von Bühnenbildner Pierre-André Weitz ist ständig in Bewegung. Überall rotieren, hörbar knarzend, riesige Schicksalsräder, eröffnen sich neue Perspektiven und Bühnenräume, ein Kerker, ein abgebrannter Wald, ein brennendes Kreuz mit einer Phalanx von Ku-Klux-Klan-Gestalten im Hintergrund. Die auf dem Scheiterhaufen hingerichtete Mutter von Azucena und eine junge Frau mit blutverschmiertem Baby geistern als schauriges memento mori durchs ganze Stück.
Sogar eine Dampflokomotive wuchtet das Regieteam auf die Bühne. Sie verweist auf die Entstehungszeit der 1853 uraufgeführten Oper und dient als Schlaginstrument zu einer machtvollen Choreinlage. Kundige Zuhörer durften sich bei den metallenen Schlägen an die Nibelheim-Szene aus Wagners „Rheingold“ erinnert fühlen. Selbst in der Pause ging das Spektakel weiter. Wer den Saal nicht verlassen hatte, konnte einer kleinen Zaubershow beiwohnen - mit Jonas Kaufmann als „zersägter Jungfrau“. Da durfte sogar gelacht werden an diesem düsteren Verdi-Abend, der mit Jubelstürmen für die Sänger und einem Buh-Bravo-Duell beim Erscheinen des Regieteams zu Ende ging.