Wilco-Boss Tweedy macht in Familie
Berlin (dpa) - Bisher kannte man Jeff Tweedy als Frontmann von Wilco, einer der weltbesten Rockbands, zuletzt auch als begehrten Produzenten. Das neue Studioalbum des großen Sängers und Songwriters zeigt nun eine weitere, eine weichere Seite.
Nämlich die des stolzen Vaters und liebevollen Familienmenschen. „Sukierae“ (dBpm/Anti) - benannt nach einem Spitznamen seiner Ehefrau Susie - ist im Booklet gepflastert mit typisch dilettantischen Familienfotos, auf dem Cover und der Rückseite sieht man Bilder des jungen Jeff Tweedy. Vor allem aber stellt diese Platte Tweedys Sprössling Spencer (18) als bereits erstaunlich versierten Schlagzeuger vor, ist also das glatte Gegenteil eines eitlen Star-Solowerks.
Schon auf dem von Jeff Tweedy produzierten jüngsten Album der Soul/Gospel-Königin Mavis Staples („One True Vine“/2013) war Spencer an den Drums zu hören, und er macht seine Sache auch jetzt wieder ganz prima. Unter dem schlichten Projektnamen Tweedy haben der 47-jährige Vater, sein Sohn und einige wenige Gastmusiker eine schöne, schnörkellose, fast ein wenig spröde Platte aufgenommen - und sie feiern damit zugleich den Wert ihrer Familienbande.
„Ich würde das ja niemals „Zusammenarbeit“ nennen - es war der pure Spaß“, sagte Jeff Tweedy der „New York Times“ über sein vertrautes Verhältnis zum musikalisch hoch veranlagten Sohnemann. „Es war wie damals, als man mit Matchbox-Autos oder Lego-Steinen zusammen auf dem Boden rumsaß.“ Die NYT-Story offenbart aber nicht nur den kumpelhaft freundschaftlichen Umgang der beiden miteinander, sondern auch den riesigen Respekt des Jüngeren, der für jedes Lob des berühmten Vaters noch brav Danke sagt.
„Sukierae“ ist - vermutlich ganz bewusst - kein Album geworden, das die enorme Bandbreite und Virtuosität der Wilco-Großtaten kopieren will, dazu fehlen ihm schon allein brillante Bandmusiker wie Gitarrist Nels Cline oder Drummer Glenn Kotche. In ihren stärksten Momenten erinnert die Platte aber durchaus an so wunderbare Wilco-Werke der vergangenen Jahre wie „Sky Blue Sky“ (2007) oder „The Whole Love“ (2011).
Folk, Blues und Sixties-Pop verbünden sich zu jener typisch amerikanischen Spielart eines experimentierfreudigen Indierocks, mit der Jeff Tweedy als Mitgründer von Uncle Tupelo vor 25 Jahren und als unumstrittener Wilco-Boss (seit 1995) bekanntwurde. Es finden sich hier eine ganze Menge Perlen - vom freundlichen „High As Hello“ über die zarten Akustikklampfen-Songs „Pigeons“ und „Honey Combed“, das bluesig-raue „World Away“ oder das ähnlich Gitarrenriff-dominierte „I'll Sing It“, bis zu zwei prachtvollen Piano-Balladen am Schluss, „Where My Love“ und „I'll Never Know“.
Das von einem ploppenden Basslauf vorangetriebene, warmherzige „Summer Noon“ kannte man schon aus dem Soundtrack des Films „Boyhood“, wenn man bis zum Abspann im Saal blieb (was die hypnotische Wirkung dieses Kino-Meisterwerks noch einmal verlängerte). „Desert Bell“ ist eine Verbeugung vor Leonard Cohen, der beim Erscheinen des Tweedy-Albums runde 80 wird.
Wer Jeff Tweedys dunkel-melancholische Stimme und seine Gitarrenkünste mag, kommt reichlich auf seine Kosten - insofern wohl auch jeder Wilco-Fan. Satte 20 Stücke - einige etwas skizzenhaft, aber insgesamt alle gut, einige gar grandios - umfasst „Sukierae“, ein Doppelalbum mit 70 Minuten Spielzeit.
Und das ist denn auch das einzige Problem: Hätten die Tweedys ihre Kreativität auf ein rundes Dutzend der stärksten Lieder verdichtet, wäre eine weniger üppige, aber wohl noch bessere 45-Minuten-Platte herausgekommen. So ist dies für Jeff Tweedys Verhältnisse „nur“ eine sehr solide Songsammlung, für Spencer Tweedy eine respektable Talentprobe - und für alle anderen ein willkommener Zwischenschritt zum nächsten Wilco-Album, dessen Veröffentlichung 2013 ohne nähere Begründung verschoben wurde.
Tweedy-Konzerte im November: 6.11. Berlin, Apostel-Paulus-Kirche; 8.11. Weissenhäuser Strand, Ostsee-Ferienpark (Rolling Stone Weekender); 13.11. Köln, Kulturkirche