Zwiespältiger „Parsifal“ in Salzburg
Salzburg (dpa) - Christian Thielemann wirkte etwas irritiert angesichts des Sturms der Begeisterung, der ihm aus dem riesigen Auditorium des Großen Festspielhauses fast zu überrollen schien.
Vielleicht war seine Überraschung aber nur kokette Attitüde, denn für den Berliner Maestro sind solcherlei Huldigungen nicht ungewohnt, zumal in Salzburg, wo er mit der Übernahme der Osterfestspiele jetzt endgültig in die großen Fußstapfen seines Idols und Förderers Herbert von Karajan getreten ist.
Mit Richard Wagners „Parsifal“ gab er am Samstagabend am Pult der Sächsischen Staatskapelle, dem neuen Residenzorchester des Nobelfestivals, einen überzeugenden Einstand. Szenisch war die Inszenierung von Michael Schulz eher ein Flop, wenn auch das finale Buhgewitter die Intensität der Thielemann-Begeisterungswelle nicht ganz erreichte. Musiziert wurde auf höchstem Niveau. Diesen süffig-seidenen Streichersound macht der Staatskapelle unter ihrem neuen Chef so leicht keiner nach. Und Thielemann, vielleicht der größte Wagner-Dirigent unserer Tage, kostete alle Schönheiten der sphärischen, ins Ungefähre ausgreifenden Klangsprache dieses „Bühnenweihfestspiels“ voll aus.
Nur das Blech wirkte etwas weniger akkurat, als man es von den Berliner Philharmonikern gewohnt war, die bis dato bei den Osterfestspielen den Ton angaben und mit Maestro Sir Simon Rattle im Festspielhaus Baden-Baden eine neue Heimat gefunden haben.
Die Leistungen des Sängerensembles waren eher durchwachsen. Der südafrikanische Tenor Johan Botha, schon viele Jahre weltweit im Geschäft, gebietet zwar nach wie vor über ein geschmeidiges Organ mit Durchschlagskraft, war aber szenisch schwach, zumal er infolge seiner raumgreifenden Körperlichkeit als jugendlicher Held in der Titelrolle nur schwer vermittelbar ist. Michaela Schusters Kundry klang etwas scharf und Stephen Milling kam als Gurnemanz reichlich neutral über die Rampe.
Am überzeugendsten, auch darstellerisch, agierte Wolfgang Koch als Amfortas. Dass keinem der Protagonisten ein wirklich überzeugendes Rollenporträt gelang, lag wohl an der fahrigen Personenführung von Regisseur Michael Schulz. Der Generalintendant des Musiktheaters im Revier Gelsenkirchen versuchte sich nicht an einer wie auch immer beschaffenen Deutung des reichlich schwülstigen, von schwurbeliger Altersspiritualität und Entsagungsfantasien durchtränkten Stoffes, sondern nahm Wagner fatalerweise beim Wort. Fragen nach Sinn oder Unsinn dieses problematischen Plots, gar Witz oder Ironie: Fehlanzeige.
Viel an äußerer Handlung hat Wagners Opernletztling nicht zu bieten. Parsifal, der reine Tor, wird durch Kundrys Kuss wissend und macht sich auf, die Gralsritter vom Fluch des Zauberers Klingsor zu befreien. Dafür lädt Wagner, der mit Religion nie viel am Hut hatte, die schlichte Story mythisch mächtig auf, greift tief in die Kiste christlicher Symbolik und lässt das ganze Personal seiner vorherigen Opern noch mal in verwandelter Gestalt auffahren. Schulz lässt das alles so stehen und treibt sein Bühnenpersonal meist ziellos durch die von Bühnenbildern Alexander Polzin aufgerichteten Kulissen. Die Gralsburg ist ein Wald aus Plexiglasröhren, die sich alsbald mit waberndem Bühnennebel füllen, Klingsors Zaubergarten ein Skulpturenpark mit von der Decke kopfüber herabhängenden Gottheiten.
Im dritten und letzten Aufzug wartet die Ritterschaft auf einer von Wölfen umringten Eisscholle zunächst vergeblich darauf, dass der von Klingsor tödlich verwundete Amfortas den lust- und lebenspendenden Gral wieder enthüllen möge, was aber erst dem hinzutretenden Parsifal gelingt. Allen Protagonisten stellt Schulz einen oder mehrere Sparringspartner sozusagen als lebende Kommentarfunktion zur Seite. Amfortas hat stets zwei tätowierte Tänzerinnen im Schlepptau, deren Verrenkungen wohl die körperlichen und seelischen Qualen des Gralspriesters symbolisieren sollen.
Parsifal ist umringt von Jünglingen (Reinheit! Unschuld!), während Klingsor einen ziemlich intrigant aussehenden Zwerg nicht abschütteln kann, bis dieser von Kundry gemeuchelt wird, woraufhin auch Klingsor sein Leben aushaucht, Kundry, die einst Jesus am Kreuz verspottete, muss sich fünf Stunden lang mit dem Heiland selbst herumschlagen. Am Schluss wird sie von den Gralsrittern gezwungen, den Auferstandenen anzubeten. Spätestens hier dürfte die Inszenierung, die auch an der Dresdner Semperoper und in Peking zu sehen sein wird, die Kitschgrenze überschritten haben.