Analyse Neue Millionen statt Werbeverbot für den WDR
CDU und FDP in NRW, die einst den werbefreien öffentlich-rechtlichen Rundfunk versprachen, spendieren dem WDR am Mittwoch die Chance auf rund 60 Millionen Euro Reklame-Einnahmen bis 2021 — auf Kosten der Privatradios.
Düsseldorf/Köln. Am Mittwoch gegen 20.40 Uhr, wenn die Köpfe der Abgeordneten voll und die Mägen leer sind, bringt die schwarz-gelbe Landesregierung im Plenum des NRW-Landtags das „Gesetz zur Zustimmung zum Einundzwanzigsten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (21. Rundfunkänderungsstaatsvertrag) und zur Änderung weiterer Gesetze (16. Rundfunkänderungsgesetz)“ zur ersten Lesung ein. Die Vorlage hat 102 Seiten, vorgesehen sind für den parlamentarischen Akt fünf Minuten.
Wenn es für WDR-Intendant Tom Buhrow gut läuft, hat er am Ende des Verfahrens 59,8 Millionen Euro mehr in der Senderkasse, als seine Haushaltspläne vorsehen — und als das WDR-Gesetz es bisher erlaubt. Damit stellen sich CDU und FDP in die Tradition ihrer rot-grünen Vorgängerregierung: als medienpolitische Umfaller. SPD und Grüne hatten in ihrem letzten Koalitionsvertrag vereinbart, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in NRW — sprich: den WDR — werbefrei zu machen. Unter dem Druck des mächtigen Senders, der die Abgeordneten bei einem „parlamentarischen Abend“ teuer umschmeichelte und gleichzeitig mit Standort-Kappungen drohte, knickte Rot-Grün 2016 schließlich ein. Statt die WDR-Werbung zu streichen, wurde sie lediglich reduziert: Seit 2017 dürfen nur noch zwei WDR-Wellen (vorher: alle) pro Tag maximal 75 Minuten (vorher: 90 Minuten) ausstrahlen. Zum 1. Januar 2019 sollte es dann nur noch eine Welle mit maximal 60 Minuten sein; grundsätzlich stehe man aber weiter zum Ziel der Werbefreiheit, so damals der grüne Landtagsvizepräsident Oliver Keymis.
Obwohl der WDR bei dieser Regelung mit weniger als einem blauen Auge davon kam, folgte die angekündigte Rache auf dem Fuße. „Die geplante Werbereduzierung im Rahmen des WDR-Gesetzes würde einseitig den WDR belasten und damit auch Nordrhein-Westfalen schaden“, drohte Intendant Buhrow vor der Beschlussfassung. Sollte der Landtag dem rot-grünen Antrag folgen, „müsste der WDR die Einbußen durch entsprechende Kürzungen ausgleichen“.
Wenige Wochen nach dem Gesetzesbeschluss verkündete Buhrow, die Produktionen der „Aktuellen Stunde“, von „WDR aktuell“ und „WDR extra“ ab 2021 von Düsseldorf, wo das Landesstudio im Hafen fußläufig zum Landtag liegt, nach Köln in das berüchtigte „Filmhaus“ zu verlegen; eine fragwürdige Innenstadt-Immobilie, die der Sender bis dahin für mehr als 100 Millionen Euro sanieren will.
Nach dem rot-grünen Einknicken kündigte die CDU an, die Werbefreiheit zum Wahlkampfthema zu machen und sie nach Übernahme der Regierungsverantwortung 2017 umzusetzen, die FDP hielt SPD und Grünen Wortbruch vor. Inzwischen hat Schwarz-Gelb jedoch beschlossen, sich noch etwas würdeloser als Rot-Grün vor dem Kölner Intendanten-Thron auf die Knie zu werfen: Die Gesetzesänderung, die heute Abend als Regierungsentwurf in den Landtag eingebracht wird, sieht vor, die ohnehin nur halbherzige zweite Stufe der Werbezeiten-Reduzierung im WDR-Hörfunk vom 1. Januar 2019 auch noch auf den 1. Januar 2021 zu verschieben. Die Begründung ist einigermaßen abenteuerlich: Zunächst sollen die Auswirkungen der 2017 erfolgten ersten Reduzierung durch die Staatskanzlei und einen externen Gutachter „evaluiert“ werden. Vor allem soll dabei bewertet werden, ob die 15-Minuten-Reduzierung den privaten Radioveranstaltern in Nordrhein-Westfalen wie beabsichtigt bereits zu Mehreinnahmen verholfen hat. Dafür müsse man aber die Geschäftsberichte des Jahres 2017 der Sender abwarten — und entsprechend die zweite Stufe der Werbezeitenreduzierung um zwei Jahre verschieben. Es dürfte SPD und Grünen ein inneres Fest sein, die Glaubwürdigkeit dieser Argumentation im Kultur- und Medienausschuss rückstandsfrei zu zertrümmern.
Laut einer Studie, die die acht deutschen Landesmedienanstalten bereits im Dezember veröffentlicht haben („Wirtschaftliche Lage des Rundfunks in Deutschland 2016/2017“), sind die Gesamterträge des privaten Hörfunks in Deutschland von 2016 auf 2017 minimal um sechs auf 706 Millionen Euro gestiegen, die Kosten kletterten aber von 611 auf 617 Millionen Euro. Bei den Einnahmen machen regionale Werbung (45,7 Prozent) und überregionale Werbung (33,2 Prozent) fast 80 Prozent der Einnahmen aus. In NRW hängen an diesen Einnahmen 45 Lokalradios, die mit einer Tagesreichweite von mehr als fünf Millionen Hörern seit Jahrzehnten die Nummer 1 in Deutschland sind. Dennoch erwarten die privaten Hörfunk-anbieter für 2017 wieder nur geringe Ertragszuwächse von 0,7 Prozent.
Die Finanzverhältnisse des „Dualen Systems“ aus öffentlich-rechtlichem (Gebühren und Werbung) und privatem (nur Werbung) Rundfunk geraten in Deutschland zusehends in eine Schieflage. Wie aus der Lage-Studie 2016/2017 hervorgeht, sind die Erträge der öffentlich-rechtlichen Sender gegenüber dem Jahr 2000 bis 2016 um rund 33 Prozent auf rund 9,7 Milliarden Euro gestiegen. Das Wachstum des privaten Rundfunk betrug im selben Zeitraum lediglich 23 Prozent. Die gesamten Werbeerlöse des WDR (2017 geplant: 24,8 Millionen Euro) machen nicht einmal 1,8 Prozent seines Milliarden-Haushalts aus.
Beschließen CDU und FDP das Gesetz mit ihrer Ein-Stimmen-Mehrheit trotzdem, prasselt ein angenehmer Goldregen für die nächsten vier Jahre auf die WDR-Kasse nieder. Was die neuerliche zweijährige Schonfrist mutmaßlich für die Kölner Anstalt bedeutet, lässt sich ihrer Budget-Planung für das vergangene Jahr entnehmen: Dort ist nämlich nachzulesen, was die weitere Kürzung der Werbezeiten bedeutet hätte — woraus man im Umkehrschluss die nun eben nicht wegfallenden Mehreinnahmen schätzen darf: „Insgesamt wird ein Rückgang der Werbeerträge des WDR von 59,8 Millionen Euro für den Zeitraum 2017 bis 2020 beziehungsweise 10,1 Millionen Euro für 2017 erwartet (jeweils im Vergleich zu den letztjährigen Werten der Mittelfristigen Finanzplanung)“, schreibt Tom Buhrow.
Der Zeitpunkt 1. Januar 2021 ist nicht zufällig gewählt: An diesem Tag beginnt die nächste, vierjährige Gebührenperiode. ARD und ZDF haben längst angekündigt, dass sie mit dem heutigen Rundfunkbeitrag von 17,50 Euro pro deutschem Haushalt (zuzüglich Unternehmen, Dienstfahrzeuge, Gartenlauben etc.) künftig nicht mehr auskommen werden. Bei Gesamteinnahmen von rund zehn Milliarden Euro.