New York feiert Tanztheater Wuppertal

Intendantin Adolphe Binder über die Gastspielreise durch Nordamerika und Hausbesuche zur Belebung der Spielzeit.

Foto: Stephanie Berger

Wuppertal. Noch tourt das Tanztheater Wuppertal durch Nordamerika, berauscht von sensationellen Erfolgen vor mehr als 19 000 Zuschauern. Am 6./7. Oktober folgt der Saisonauftakt auch zu Hause im Bergischen Land. Für Adolphe Binder als neuer Intendantin und künstlerischen Leiterin ein überwältigender Start. Wir sprachen mit ihr.

Foto: Claudia Kempf

Frau Binder, in welcher Situation treffen wir Sie an?

Adolphe Binder: Ich bin in Ottawa, der kanadischen Hauptstadt, in einem Hotelzimmer. Hier ist es 10 Uhr morgens, wir sind gestern Nacht eingetroffen. Ich gehe gleich in eine Orchesterprobe. Draußen ist noch Sommer!

Das Ensemble hat gerade in New York neun Vorstellungen von „Café Müller“ und „Das Frühlingsopfer“ gespielt. Wie sind Sie aufgenommen worden?

Binder: Ich bin ja mittlerweile gewöhnt, dass das Ensemble immer ausverkauft ist und Standing Ovations erhält. Aber das Publikum in New York war derartig elektrisiert und euphorisch, wie ich es noch nirgendwo erlebt habe. Das Haus hat 2000 Plätze und ich dachte, na, mal schauen . . . Und dann standen die Leute am Nachmittag noch in langen Schlangen, die weit in die Straße hineinragten, vor der Kasse. Und sie blieben bis nach der Pause stehen in der Hoffnung, dass noch eine Karte zurückgegeben würde. Die ganze Stadt hat unser Gastspiel als Ereignis gefeiert.

Es sind einige der neuen jungen Tänzer erstmals in beiden Stücken aufgetreten. Können Sie eine Theater-Anekdote zum Besten geben?

Binder (lacht): Nee, es waren nur einige sehr nervös. Es gab auch ein paar kleinere Unfälle, die aber nichts mit den Proben zu tun hatten. Was kein Problem ist, denn wir sind mit 58 Leuten unterwegs, davon 36 Tänzer, zwei auf der Ersatzbank.

Es ist Ihre erste Tournee als Intendantin des Tanztheaters Wuppertal. Was ist das für Sie persönlich für eine Erfahrung?

Binder: Es ist eine großartige Erfahrung. Ich habe in verschiedenen Strukturen gearbeitet, war auch viel auf Tournee, aber noch nie in New York, obwohl ich mich sehr darum bemüht hatte. Diesmal war der Boden schon sehr fruchtbar bereitet mit 15 Gastspielen in mehr als 34 Jahren. Der Veranstalter staunte über das verjüngte Publikum und den Hype in den sozialen Medien.

Worin liegt das Besondere einer Gastspielreise mit dem Tanztheater Wuppertal?

Binder: Das Zusammenkommen von drei Tänzer-Generationen aus mittlerweile über 20 Ländern, dieses phänomenale Werk von Pina Bausch und die so feurige Aufnahme in New York waren schon sehr beeindruckend. Abgesehen davon, dass ich wahnsinnig gerne mit diesen Menschen arbeite. Sie sind so bodenständig trotz aller künstlerischen Integrität. Ich hätte mir keinen schöneren Einstieg wünschen können.

Welche Bedeutung haben diese beiden Frühwerke in der heutigen Zeit?

Binder: Sie haben heute noch eine unglaubliche Kraft. Obwohl sie über 40 Jahre alt sind und die Welt sich seitdem so stark verändert hat, triggern sie einen Nerv in uns. Es gibt einen Hunger nach so etwas. Man ist fast neidisch bei „Sacre“, dass man nicht im Ritual auf der Bühne mittendrin ist. Es ist diese Verzweiflung und Hoffnung, die die Menschen verbindet. Niemand geht da unberührt raus. Wir leben ja in einer erschütternden Zeit.

Am nächsten Wochenende zeigen Sie sich wieder in Wuppertal zur Spielzeit-Eröffnung — erstmals mit einem zweitägigen Fest. Wie wird gefeiert?

Binder: Es gibt eine Art Housewarming Party. Wir wollen ein bisschen näher rückten an die Menschen, für sie und mit ihnen ein bisschen tanzen, ihnen erzählen, was wir vorhaben. Wuppertal ist unser Zuhause, die meisten Menschen aus der Region sind treue Besucher.

Welches Signal wollen Sie in die Stadt senden?

Binder: Ach, darüber habe ich gar nicht nachgedacht. Mein Ansinnen ist eher das Spielerische. „Spiel-Zeit“ ist ja ein Credo für diese Saison: Gemeint ist Schau-Spielen, aber auch das kindliche Spielen. Wir wollen nicht nur Werke von Pina Bausch zeigen, sondern auch, wie ein kreativer Prozess aussieht.

Angekündigt sind in dieser Spielzeit auch Hausbesuche der Intendantin und des Ensembles. Geht das nicht zu weit?

Binder (lacht): Warum denn? Es geht um Kontakt, direkten Austausch ohne Berührungsängste. Die Idee ist, dass wir zu einzelnen Zuschauern auch mal nach Hause kommen. Auch das ist spielerisch gemeint. Wir haben in dieser Saison ein großes Kinder- und Jugendprojekt, bieten Workshops auch für Laien an. In diesem Kontext stehen die Hausbesuche im intimen Rahmen. Das Ensemble öffnet sich und gewährt einen die Einblick in Entstehungsprozesse.

Also kann man Sie zum Kaffeetrinken buchen?

Binder: Ja, als ob man Freunde einlädt. Eine Begegnung zwischen Künstler und Zuschauer. Wuppertal verdient besondere Zuwendung.