Fotografie Der dokumentierte Lebenswille
Düsseldorf · Kurator Ralph Goetz holt die Foto-Künstler Joachim Brohm und Alec Soth in den Ehrenhof.
Diese Ausstellung von Joachim Brohm und Alec Soth im NRW-Forum ist sensationell, auch wenn der Titel „Two Rivers“, also „Zwei Flüsse“, nicht gerade prickelnd ist. Sie zeigt Fotos auf höchstem Niveau von Künstlern, die hierzulande erst noch entdeckt werden müssen. Joachim Brohm, seit über 20 Jahren Professor an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, war noch vor Andreas Gursky maßgeblich an der Entwicklung der Fotografie als Kunstform beteiligt. Und Alec Soth gehört zu den wichtigsten Fotografen der internationalen Szene, als bildender Künstler, Magnum-Fotograf, Blogger, Verleger und lyrischer Dokumentarist.
Der majestätische Mississippi wie die kleine Ruhr tauchen kaum auf. Es geht um das Leben am Ufer der Flüsse, in den Randzonen, wo Landschafts- und Gesellschaftsgeschichte zusammenfallen. Kurator Ralph Goertz, ein Fachmann auf dem Gebiet der Fotografie, präsentiert den Blick des Europäers und des Amerikaners in der gemeinsamen Schau, die den Betrachter zum genauen Hinschauen zwingt. Die Ausstellung ist Schaugenuss und Sehschule zugleich. Es geht um die kleinen Details am Rande der großen Weltpolitik.
Die Kommilitonen Brohm und Gursky starteten in Essen
Joachim Brohm, Jg. 1955, ist geprägt durch die Folkwang Hochschule in der Tradition von Otto Steinert und Michael Schmidt. Als er 1977 dort sein Grundstudium beginnt, ist sein gleichaltriger Kommilitone Andreas Gursky. Brohm bleibt in Essen, Gursky wechselt zur Akademie in Düsseldorf. Aber Brohm kennt sich sehr wohl auch in Düsseldorf aus und tituliert seine Fotos aus dem Kleingarten-Milieu 1979 fast ein bisschen respektlos als „Typology“ (Typologie). Der Begriff sei doch nicht von den Bechers patentiert, es gehe ihm wie ihnen um das vergleichende Sehen, und das sei erlaubt. Mit seiner Diplomarbeit von 1983 heimst Brohm erste eigene Erfolge ein, denn seit 1980 richtet er die Kamera in der Regel vom erhöhten Standort auf die Ränder zwischen Fluss und Stadt.
Bilder wie von Gursky von der Brücke auf die Picknick-Szene
Es entstehen herausragende Bilder von all den farbigen Autos auf den Brachflächen am Ufer, wo die Freizeitgesellschaft ihr Picknick veranstaltet. Wie Gursky drei Jahre später von der Oberkasseler Brücke auf das Rheinufer blicken wird, so steht Brohm auf der Kemnader Brücke bei Bochum und schaut auf die klitzekleinen Leute am Kemnader See. Nichts ist herangezoomt, alles ist im provisorischen Zustand der Nachkriegsdeutschen belassen. Die zerfurchte Zone in Bochum oder die Camper in Gelsenkirchen kommen ins Bild.
Ein Höhepunkt in der Ruhr-Serie ist der Campingplatz bei Hattingen, mit all den bunten Autos vor dem bewaldeten Höhenzug mit Schäfchenwolken. Ein anderes Beispiel zeigt zwei Jungens in einer paradiesischen Landschaft, während sie ihr Boot bei Essen aus dem Wasser holen. „Alles soll im Bild demokratisch verteilt sein. So kann jeder Betrachter das entdecken, was ihn interessiert“, sagt Brohm rückblickend. Er wendet sich damit instinktiv gegen Pädagogen, die es lieber gesehen hätten, wenn er das Motiv „etwas näher herangeholt“ hätte. Zum Glück behielt er seinen eigenen Willen.
Der Mann, der 20 Jahre in Essen lebt, liebt nicht das Motiv in der Mitte, sondern generell die „Übergangslandschaft“, wie er es nennt, wo sich Feld und Industrie begegnen. „Ich habe mich immer für die Zwischenzonen interessiert“, sagt er. Das sei für ihn als Sohn vom Niederrhein anfangs verwunderlich gewesen, denn zu Hause grenzte ein Ort an die Landschaft, basta. Nun entdeckt er, wie in den 1980er Jahren alles zusammenwächst, Natur und Stadt, und wie die Brachen neu besetzt wurden.
Nach dem Studium erhält er ein Fulbright-Stipendium und fliegt mit der klassischen Folkwang-Kamera, der Plaubel Makina Mittelformat-Kamera, im Gepäck nach Ohio. Dieses Fabrikat, eine Mischung aus Leica und Großbildformat, war handlich genug, um damit in der Freizeit durch Ohio zu schlendern und Aufnahmen zu machen. Nun entstehen die eindrucksvollen Bilder auf dem Weg zum Campus. Über den Gebäuden hängen die Drähte und Masten, wie sie typisch sind für die amerikanische Stadtlandschaft. Brohm liebt dieses Gestände, denn es erleichtert ihm den Bildaufbau, der dadurch eine gewisse Dynamik gewinnt.
Brohm schult sich an den Heroen der amerikanischen Fotografie
Der Aufenthalt 1983/84 öffnet ihm die Augen für die lyrischen Dokumentaristen Amerikas wie Robert Frank, Stephen Shore und Joel Sternfeld. Er studiert als Neuling im hellen Licht die amerikanische Farbfotografie, aber auch die riesigen Autoschlitten, diese Dinosaurier in der Landschaft, die Unmengen an Sprit verbrauchen. Zugleich ist er begeistert von der neuen Klarheit in der Technik dieser Vorbilder und beginnt, ihnen nachzueifern.
Sein Zyklus „Culatra“, der sich auf eine große Insel vor Portugal bezieht, stammt von 2008 bis 2010. Brohm findet Gefallen an den „zusammengestrickten Orten auf dieser Insel“, wie er es nennt. Afrikanische Einwanderer, ärmere Fischer und europäische Outsider finden in ärmlichen Hütten am weißem Sand ihre letzte Möglichkeit zum Leben. Brohm nimmt die Situation in seinen Fokus, als handele es sich um einen Ort, wo ein löchriges Holzboot wie ein Ufo auf dem Sand unter der gleißenden Sonne gestrandet zu sein scheint.
Wie ein Mädchen im Bikini zu einem Porträt voller Poesie wird
Soth ist der Meister des Porträts. Er hält sich an den Niagarafällen auf, um perfekte Fotos zu schießen. Dabei benutzt er den Hauptstandort aller Touristen als Rampe, um das Wasser so aufscheinen zu lassen, als male er ein Bild. Ihm geht es aber nicht um das Naturereignis als Spektakel. Vielmehr handelt der Großteil der Serie vom Sehnsuchtsort für Hochzeitspaare, denn dort gibt es die billigsten Kaschemmen.
Soth trifft kolossale Paare, die ihr Fleisch ohne Scham zur Schau tragen. Aber seine Menschen haben immer auch eine Geschichte, die er preisgibt. So spricht er fürs Foto eine Prostituierte an, die mit 14 Jahren ihr Neugeborenes der Mutter in den Schoß legte und aus dem Elternhaus entfloh, um Geld anzuschaffen. Soth postiert das Mädchen mit den strammen Beinen, dem billigen Sommer-Bikini und den blauen Badelatschen auf einem Bett wie die Odaliske des Malers Ingres aus dem Louvre, aber er fängt ihr Spiegelbild als Rückansicht wie auf einem Gemälde ein. Nichts ist getrickst wie beim offiziellen Vertreter des französischen Klassizismus. Der Blick des Mädchens verrät, mit welcher Energie es gewillt ist, sich durchs Leben zu schlagen.
Info: Ehrenhof 2, Düsseldorf, Dienstag + Donnerstag 11-18 Uhr, Samstag 10-21, Sonntag 10-18 Uhr. Zur Nacht der Museen bis 2 Uhr offen. Ausstellung bis 7. Juni.