Online-Zeitung "Der Postillon": Wenn Satire-Nachrichten mit der Wahrheit spielen
Das humoritische Blog „Der Postillon“ gilt als eines der erfolgreichsten Medienangebote im Internet. Jetzt gibt es die Online-Zeitung auch als Liveshow, die in Münster gastierte.
Münster/Fürth. Die Polit-Journalisten der Republik mögen sich in Spekulationen ergangen haben, was sich hinter den Kulissen der gescheiterten Jamaika-Koalition nur abgespielt haben mag — „Der Postillon“ weiß, warum die FDP die Sondierungsgespräche in Wirklichkeit platzen ließ: „Ich will mich auf meine Modelkarriere konzentrieren“, titelte die Online-Zeitung über dem Foto eines dandyhaft posierenden Christian Lindner in schwarz-weiß. Der Artikel ging im Netz durch die Decke und wurde schon wenige Stunden nach seiner Veröffentlichung über 8. 000 Mal geklickt. Der Beitrag war erfolgreicher als die meisten nachrichtlichen Kommentare zu dem politischen Erdbeben, denn bei Lindners angeblicher Modelkarriere handelte es sich — natürlich — um Satire.
Es sind „Nachrichten“ wie diese, mit denen der Postillon seit fast zehn Jahren Klickzahlen generiert, von denen manches Boulevard-Medium im Internet nur träumen kann. Zwar gibt es den Postillon nach eigenem Bekunden bereits seit 1845, näher an der Wahrheit ist aber wohl, dass die Satire-Zeitung seit Oktober 2008 existiert und sich seitdem wachsender Popularität erfreut.
Hinter dem Projekt verbirgt sich der 37-jährige Stefan Sichermann aus dem bayerischen Fürth, der die Seite mit einem kleinen Team betreibt. Mittlerweile können die Autoren kostendeckend arbeiten und finanzieren die Seite zu 90 Prozent mit Online-Anzeigen und Werbebannern. Hinzu kommen weitere Einnahmequellen, etwa aus einem Best-of-Buch und der gerade gestarteten Liveshow. In den vergangenen Jahren hat der Postillon etliche Branchenpreise wie den renommierten „Grimme Online Award“ abgeräumt. Als Vorbild für sein Blog diente dem früheren Werbetexter Sichermann die amerikanische Satire-Seite „The Onion“, zu der er mit dem Postillon ein deutsches Pendant schuf. Zum Markenkern des Postillon zählen neben dem Logo, bestehend aus einem Posthorn mit Steckenpferd, der „kleine Timmy“, der ewig neun Jahre alt bleibt und in den Artikeln leitmotivisch immer wieder auftaucht.
Medial hält Sichermann sich inzwischen bewusst bedeckt, gibt seit einigen Jahren keine Interviews mehr, „um den Postillon nicht zu entzaubern“, verrät sein Projektpartner Volker von Liliencron, der die erste Liveshow des Magazins mitkonzipiert hat. Mutet das Online-Angebot auf den ersten Blick wie eine normale Nachrichtenseite an, wird die Satire unter allen Menüpunkten konsequent durchgezogen. Bei dem diskreten Hinweis auf die Nutzung von Cookies beim Besuch der Seite heißt es dort etwa: „Der Postillon verwendet Cookies (Buh!) für alles mögliche (Werbung, Facebook, Zugriffsanalyse, NSA). Durch Ihren Besuch stimmen Sie dem zu.“ Wer vor so einer eindringlichen Warnung nicht zurückschreckt, klickt leichtsinnigerweise auf „Mir doch egal!“ Als Quelle für die Artikel wird in der Regel die Nachrichtenagentur „dpo“ herangezogen — namentliche Ähnlichkeiten mit der Deutschen Presseagentur sind natürlich rein zufällig.
In einer Zeit, in der Medien gerade im Internet um Glaubwürdigkeit und Vertrauen ringen und Fake News den öffentlichen Diskurs bestimmen, spielt der Postillon auf satirische Art gekonnt mit den Kategorien von Schein und Sein. So kommt es trotz des mittlerweile hohen Bekanntheitsgrades der Seite immer wieder vor, dass Leser satirische Beiträge für bare Münze nehmen und damit mittelbar zum Erfolg des Magazins beitragen.
So empörten sich 2012 Fans des österreichischen Extremsportlers Felix Baumgartner über eine Berichterstattung des Postillon, nach der der Basejumper seinen Sprung aus der Stratosphäre angeblich vergeigt hätte. Überschrift: „Linie übertreten. Rekordsprung aus 39 Kilometern Höhe für ungültig erklärt.“
Doch auch umgekehrt ist eine Fehlinterpretation von Nachrichten möglich, die für manche Leser offenbar zu absurd klingen, als dass es sich dabei nicht um Satire handeln könnte: Als am 2. Januar 2014 zahlreiche Medien über einen erwarteten Wechsel Ronald Pofallas in den Vorstand der Deutschen Bahn berichteten, datierte der Postillon seinen Beitrag auf den 1. Januar. So entstand bei vielen Usern der Eindruck, die Meldung stamme ursprünglich vom Postillon und entspräche nicht der Wahrheit. Für die Seite erwies sich die Geschichte einmal mehr als genialer PR-Coup.
An der Frage, was Satire darf, scheiden sich bekanntlich die Geister. Der Postillon hält es da mit Kurt Tucholsky, der diese mit „alles“ beantwortete. So kommt es bei manchen Gags durchaus vor, dass die Autoren die Grenzen des guten Geschmacks strapazieren: Eigentlich hätten die Jamaika-Sondierer die Ministerien mit dem Spiel „Die Reise nach Jerusalem“ verteilen wollen, kalauert Moderator Thiess Neubert bei der Liveshow in Münster. „Nur hätte Wolfgang Schäuble bei dem Verfahren einen kleinen Wettbewerbsnachteil gehabt.“
Die Marke Postillon zieht auch live, berichtet Neubert im Gespräch mit unserer Zeitung. Gemeinsam mit seiner Kollegin Anne Rothäuser präsentiert er die Show im Stil einer seriösen Nachrichtensendung, die in diesem Jahr erstmals an den Start gegangen ist. „Dabei haben wir die beliebtesten Beiträge aus den letzten Jahren des Postillon verarbeitet, aber auch manche Sachen exklusiv für die Show produziert“, verrät er. Ein wenig mehr politische Tagesaktualität würde man sich in dem Liveprogramm tatsächlich wünschen, wenngleich Fans des Postillons und solche, die es werden wollen, auf ihre Kosten kommen.
In jedem Fall eröffnet die Show neue Perspektiven: So erfahren die Zuschauer von jenem glücklosen IS-Terroristen, der einen Anschlag auf den Berliner Flughafen begehen wollte. Laut Postillon wurde dem Islamisten sein schlechtes Timing bei der ewigen Baustelle zum Verhängnis: Er starb inzwischen an Altersschwäche.