Meinung 2015 war ein Wahnsinnsjahr für Deutschland und Europa
Objektiv war 2015 ein Super-Jahr für Deutschland. Wenn man die Exportzahlen nimmt, die Lohnzuwächse, das Mehr an sozialer Sicherheit, die gesunkene Arbeitslosigkeit. Dennoch ist die Angst der Deutschen größer geworden, wie jüngst eine Umfrage zeigte.
55 Prozent blicken mit Sorge in die Zukunft. Es ist ja nicht nur ein Gefühl, dass die Einschläge näher kommen, es ist Realität.
Der Terror, der nur zufällig nicht Berlin oder Frankfurt, sondern Paris getroffen hat. Das syrische Grauen, das mit jedem Asylbewerber direkt vor unserer Tür steht. Die nicht wirklich gelöste Eurokrise. Und dann zerfällt die EU auch noch regelrecht in Egoismen und Nationalismen, von London über Wahrschau bis Budapest. Was für ein Wahnsinnsjahr, im negativen Sinne. War 1990 nach der Auflösung der Blöcke noch das Jahr der großen Zukunftshoffnung, so ist 2015 das Jahr der großen Zukunftsangst.
Angst lähmt. Aber die Tür zuschlagen, sich abschotten, all das wird weder die Flüchtlinge fernhalten, noch die Konflikte lösen, noch Europa besser machen, noch den Terror besiegen. Sigmar Gabriel hatte Recht: Es gibt wieder eine Rückkehr des Politischen. Es müssen wieder Grundsatzdiskussionen ausgetragen und entschieden werden. Wie wollen wir leben, wie sein?
Angela Merkel, bisher mehr moderierende als entscheidende Kanzlerin, ist sehr politisch gewesen. Klare Führung in Sachen Europa: Den Kontinent zusammenhalten, um fast jeden Preis. Weil wir gemeinsam keine andere Macht haben, die uns durch die Fährnisse der Globalisierung bringen könnte. Und klare Führung in der Asylpolitik: Die Flüchtlinge menschlich behandeln. Dazu eine im Innern wie im Äußeren entschlossene Reaktion auf den Terrorismus. Es war auch ein Wahnsinnsjahr für die deutsche Regierung und ein Wahnsinnsjahr für ihre Diplomatie. Diese Regierung und diese Koalition haben sich, das kann man schon sagen, 2015 bewährt.
Angst kann auch Kräfte mobilisieren, das ist ihr Zweck. So gesehen ist die Umfrage nicht schlecht terminiert. Deutschland ist mit Können durch das Jahr gekommen. Mit dem seiner Arbeitnehmer und Unternehmer, seiner Politiker und seiner Ehrenamtlichen. Auch mit einer riesigen Portion Glück. 2016 wird mehr Können und mehr Glück verlangen. Denn weniger werden die Weltkonflikte, die europäischen Auseinandersetzungen und die inneren Probleme im neuen Jahr ganz sicher nicht werden.