Atomproteste: Lächelnde Sonne und allmächtige Richter
Die Atomproteste sind kein gutes Indiz für unsere Demokratie.
Wollen wir gleich die Regierung abschaffen und die Richter in Karlsruhe über die Politik in Deutschland entscheiden lassen? Darauf wird es nämlich auch bei der Atomfrage hinauslaufen, wenn SPD-Chef Gabriel das neue Gesetz der schwarz-gelben Koalition per Eilantrag zu kippen versucht. Er strebt damit keine parlamentarische, sondern eine juristische Lösung an. Was den fatalen Trend verstärken wird, dass das Bundesverfassungsgericht der Politik immer mehr Grenzen zeigt und sie mit neuen Arbeitsaufträgen zurück ins Alltagsgeschäft schickt. Ideale Demokratie stellt man sich anders vor.
Andererseits nutzt Gabriel, durch die am Wochenende neu formierte Anti-Atom-Bewegung beflügelt, seine streng genommen einzige Chance, die Atompolitik tatsächlich zu beeinflussen. Denn wenn die Regierung das Gesetz wie geplant ausschließlich vom Bundestag absegnen lässt, kann die Opposition zwar dagegen wettern, wird aber wegen der für sie ungünstigen Mehrheitsverhältnisse nichts ausrichten. Also wird sie weiterhin mit allen Mitteln versuchen, im Bundesrat über die Verlängerung der Laufzeiten von Kraftwerken debattieren und abstimmen zu können.
Gleichzeitig dürfte die Opposition mit dem Druck der Straße der Regierung das Leben noch schwerer machen. Zumal die rot lächelnde Sonne der Atomkraftgegner an diesem Wochenende einen Bedeutungswandel erfahren hat. Der Protest ist weniger idealistisch und weltfremd als früher. Viele Menschen des sogenannten bürgerlichen Lagers sind ob einer bis zu 14 Jahren verlängerten Laufzeit von Kraftwerken und der offenen Endlager-Frage ehrlich besorgt. Die unglückliche Kommunikationsstrategie der Regierung in den vergangenen Wochen hat deren Bedenken sogar verstärkt.
Es ist taktisch gesehen verständlich, aber auch ein durchsichtiges Manöver, dass sich sämtliche Oppositionsparteien der Protestbewegung anschließen. Doch wenn SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sich darüber freut, dass Leute auf die Straße gehen und das als gutes Zeichen für die Demokratie wertet, ist das zumindest zweischneidig. Denn heftiger Bürgerprotest ist ja oft ein Indiz dafür, dass unsere parlamentarische Demokratie nicht richtig funktioniert. Und Nahles ist ein Teil von ihr.