Volker Kauders Drohung Aus Abgeordneten werden Angeordnete
Fraktionszwang statt echter Debattenkultur
Ein Orchester kann nur dann mit Applaus rechnen, wenn sich alle am Dirigenten orientieren und nicht jeder seine eigene Melodie spielt. Eine Fußballmannschaft kann nur gewinnen, wenn alle Spieler beherzigen, nicht aufs eigene Tor zu schießen. Gilt nicht das gleiche auch für die Politik? Eine Parlamentsfraktion kann ihre Ziele nur durchsetzen, wenn sie geschlossen auftritt. Insofern müsste man ihm doch Recht geben, dem Unions-Fraktionschef Volker Kauder, der die Abweichler seines Lagers in der Griechenlandpolitik diszipliniert. Sein Job ist es, der Kanzlerin den Rücken frei zu halten und ihr die Mehrheit im Parlament zu beschaffen.
Doch demokratische Politik braucht den Widerspruch. Dieser darf nicht weggebürstet werden mit Drohungen eines Karriereschnitts. Abgeordnete sind „Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“. Der Grundgesetz-Artikel 38 ist da unmissverständlich. Von Fraktionszwang ist dort nichts zu lesen. Der Abgeordnete ist nicht Befehlsempfänger seiner Partei.
Andererseits ist unsere parlamentarische Demokratie so konstruiert, dass die politischen Auffassungen der Bevölkerung durch die Parteien geformt und widergespiegelt werden. Die Fraktionen setzen den Parteiwillen sodann im Parlament um. Das wiederum können sie nur, wenn die Abgeordneten an einem Strang ziehen.
Aber was ist mit dem Gewissen des Abgeordneten? Die politische Praxis hat es zur exotischen Ausnahme gemacht. Nur selten, wenn es um ethische Fragen wie etwa Sterbehilfe geht, wird man ganz feierlich und hebt den Fraktionszwang auf. Jeder darf dann nach seinem Gewissen entscheiden. Doch kann nicht auch die Frage, wie viele Milliarden Euro aus deutschem Steuergeld für die Griechenlandrettung herhalten sollen, eine Gewissensfrage sein?
Weder der Debattenkultur in seiner eigenen Partei noch dem Vertrauen der Menschen in das Parlament hat Kauder einen Gefallen getan. Wofür brauchen wir eigentlich so viele Abgeordnete, wenn sie selbst bei elementaren Fragen zum Stimmvieh degradiert werden? Gehen sie nicht mit der Herde, müssen sie runter von der Weide. Aus Abgeordneten werden Angeordnete.