Die Angst ist leider überall
Die Attentäter von Boston können auch unser Leben verändern
Niemand atmet auf, obwohl man die beiden Attentäter des Boston-Marathons zu kennen glaubt. Abgesehen davon, dass der Tod eines Menschen — auch wenn dadurch ein Terrorist als Gefahrenquelle ausscheidet — nie Grund zum Jubeln sein kann: Zu groß war die Todesangst, in die die Flucht des zweiten Täters Hunderttausende im Großraum Boston versetzte. Der Gedanke, er könnte schwer bewaffnet in nächster Nähe in seinem Versteck sitzen, muss unerträglich sein. Doch das sind — so schlimm sie auch sind — nur Momentaufnahmen von gestern.
Erschütternder und nachhaltiger ist unsere Ratlosigkeit. Obwohl jetzt die Täter und deren tschetschenische Wurzeln bekannt scheinen, gibt es keine Antworten zu deren Motiv. Und die wird es auch so schnell nicht geben, falls den Ermittlern nicht glückliche Umstände in die Hände spielen. Die Vermutung, die Brüder seien islamistische Terroristen, kann voreilig sein.
Denn als Weltanschauung auf einer Internetseite „Islam“ anzugeben, ist nicht kriminell. Islamistische, gewaltverherrlichende Videos mit „Gefällt mir“ anzuklicken, ist schon eher ein Indiz. Andererseits möchten sicherlich auch viele deutsche Eltern lieber nicht wissen, was ihre halberwachsenen Kinder alles im Netz positiv bewerten. Wir werden wohl noch lange über das Motiv rätseln. Und verstehen, warum jemand mit explodierenden Schnellkochtöpfen Marathonläufer und deren Fans töten will, werden wir nie. So irre kann niemand sein — sollte man meinen.
All diese Unklarheiten steigern unsere Angst vor weiteren Attentaten, die sich in den Jahren seit dem 11. September 2001 weitgehend gelegt zu haben schien. Wir hoffen, dass es diesmal nur verwirrte Einzeltäter waren. Wir hoffen, dass es keine weiteren Idioten-Nachahmer gibt, die etwa dem Bundespräsidenten Sprengstoff schicken. Und wir hoffen, dass nicht ausgerechnet in unserem Umfeld etwas passiert.
Letzteres kann immer geschehen. Und dennoch wären wir schlecht beraten, uns jetzt übervorsichtig einzuigeln und Massenveranstaltungen zu meiden. Wenn wir uns etwa heute nicht mehr zur Nacht der Museen, zum Einkaufen in eine belebte Innenstadt oder ins Fußballstadion trauen, dann hätte der Terrorismus zumindest eines erreicht: uns die Lebensfreude zu rauben.