Ein Volk von Haar-in-der-Suppe-Suchern?

Vom Umgang mit dem künftigen Bundespräsidenten Gauck.

Gibt es wirklich so ein typisch deutsches Phänomen, das sich in Begeisterung an der Demontage Erfolgreicher und Schadenfreude auslebt? Das Thema Bundespräsident scheint als Lehrbeispiel dafür zu taugen.

Da hackt erstmal fast das ganze Land auf einem — zugegeben — ungeschickt agierenden und angreifbaren Christian Wulff herum und ergötzt sich an echten oder vermeintlichen Verfehlungen, die bei anderen weniger spannend wären. Glücklicherweise scheint nach seinem Rücktritt mehr Gelassenheit einzukehren. Man interessiert sich eher dafür, wie lange er im Kloster bleibt und wie vehement er einen Sieg von Hannover 96 bejubelt.

Leider scheint sich jedoch das Interesse der Haar-in-der-Suppe-Sucher dem Mann zuzuwenden, der Sonntag zum Bundespräsidenten gewählt wird. Die zumeist immergleichen Gäste sezieren die Welt des Joachim Gauck in Talkshows. Ist es wirklich von staatstragender Bedeutung, wie eitel der Mann ist? Wird er ein schlechter Präsident sein, weil er zum Beispiel evangelisch ist, weil er ohne Trauschein zusammenlebt, weil er aus dem Osten kommt, weil ihn die Menschen dort weniger mögen, und weil er angeblich seine Bedeutung als Bürgerrechtler nachträglich hochspielt? Mit Verlaub, die Verbissenheit, mit der wir diese Fragen diskutieren, ist peinlich.

Man darf sich fragen, ob Joachim Gauck der richtige Bundespräsident ist. In Ordnung. Doch die Wahl für ihn wird mit einer großen Mehrheit erfolgen — eindeutiger kann er nicht demokratische legitimiert sein. Zumal es Gegenstimmen nur deshalb gibt, weil die Linkspartei ein fragwürdiges Zeichen setzt — indem sie eine Kandidatin ins Rennen schickt, die vor allem dadurch im Bewusstsein vieler ist, weil sie einen Bundeskanzler ohrfeigte.

Auch in früheren Jahren gab es erfolgreiche Präsidenten, denen anfangs einige wenig zutrauten. Joachim Gauck muss Gelegenheit bekommen, sein Profil als Repräsentant, als Impulsgeber und auch als unbequemer Mahner zu entwickeln. Als Freund der sozialen Marktwirtschaft kann er Deutschland sehr gut tun, auch wenn er sich hoffentlich aus dem politischen Tagesgeschäft heraushält. Es wäre schön, wenn er dem Amt wieder mehr Würde und die Bedeutung verleihen würde, die ihm zusteht. Wir sollten ihm die Chance und die Zeit dafür geben.