Meinung Erdogans blutiges Kalkül und die Folgen für Deutschland

Wie die Stimmung unter den in Deutschland lebenden Kurden ist, ließ sich am Sonntag vor dem Düsseldorfer Hauptbahnhof beobachten. Trauernd, wütend und friedlich erklärten sich Dutzende Menschen solidarisch mit den Opfern des Bombenanschlags von Ankara.

Foto: Judith Michaelis

Wie bereits am Vortag in anderen Städten zeigten die Demonstranten Fahnen mit dem Konterfei Abdullah Öcalans, den seit 1999 einsitzenden Chef der verbotenen PKK. Andere Flaggen zeigten das Emblem der YPG, den syrisch-kurdischen Volksbefreiungseinheiten, deren politischer Arm engstens mit der PKK verbandelt ist. Türkische Fahnen waren indes keine zu sehen.

Nicht nur für die Kurden in Deutschland ist klar, wer für die Explosionen verantwortlich ist, bei denen 97 Menschen ums Leben kamen; ein Mann und eine Frau sollen inmitten der Friedensdemonstration Körperbomben gezündet haben. Ohne Wissen oder gar Mithilfe von türkischen Geheimdiensten sei so ein Anschlag kaum möglich — nach kurdischer Lesart rückt damit der türkische Staat auf Platz eins der möglichen Strippenzieher hinter dem Attentat auf.

Nach der Version des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu — und damit nach der des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan — steckt die Terrortruppe Islamischer Staat hinter den Bomben. Ob-wohl die Kurden Feinde des IS sind und sich in Syrien an einer Offensive gegen die Islamisten beteiligen, ist deren Täterschaft keineswegs bewiesen. Gleiches gilt für die PKK, die noch am Vortag des Attentats von Ankara einen Waffenstillstand angekündigt hatte. Ob der angesichts der jüngsten Toten und der unvermindert weitergehenden Bombardements der türkischen Luftwaffe auf kurdische Stellungen hält, ist unwahrscheinlich.

Was vor allem Erdogans AKP (aus-)nutzen dürfte, die im Juni die absolute Mehrheit verloren hatte und sie am 1. November per wiederholter Parlamentswahl zurückerobern soll. Sie geriert sich einerseits als Garant für Stabilität und Frieden und spielt andererseits den Scharfmacher gegen die prokurdische und linke Partei HDP, deren Büros reihenweise in Flammen aufgehen. Ein gefährliches Spiel, wie die vergangenen Wochen mit Hunderten Toten auf kurdischer und türkischer Seite gezeigt haben. Eines, das auch hierzulande aus dem Ruder laufen könnte. Wo Deutschlands Kurden stehen, ist bekannt, aber auch Erdogan hat viel Rückhalt in Almanya. Reichlich Potenzial für Zoff.