Frankreich: Wenn politische Streiks ein Land lahmlegen
Martin Vogler kommentiert die Streiks in Frankreich.
Bei unseren französischen Nachbarn geht etwas zu Ende, das zum Glück in Deutschland (noch?) unvorstellbar erscheint: Wegen der Rentendebatte kam es zu Aus- und Aufständen, die das ja an sich sehr kultivierte Land knapp am Chaos vorbeischrammen ließen.
Selbsternannte Propheten schienen sich sogar geradezu darum zu bemühen, bürgerkriegsähnliche Zustände herbeizureden.
Schon allein weil wir die Form des politischen Streiks nicht kennen, erscheint es uns absurd, was in Frankreich geschah. Doch es lohnt vielleicht gerade deshalb, sich das Geschehene zu vergegenwärtigen: Da beschließt eine Regierung ganz demokratisch-legitim eine Erhöhung des Renteneintrittsalters von 60 auf 62 Jahre.
Als das Gesetz bereits auf der Zielgeraden ist, kocht plötzlich der Volkszorn hoch. Ohne einen Blick auf die Finanzlage oder auf die weit höheren Altersgrenzen in anderen Staaten protestieren Millionen auf den Straßen und legen die Arbeit nieder. Und laut Umfragen findet das die Mehrheit der Franzosen sogar gut.
Wobei Streiks in diesem Fall auch bedeuten, dass einige wenige Aktivisten durch ihr Handeln das Leben fast aller Bürger beeinträchtigen. Bedenkliche Beispiele: Wegen Blockaden von Ölraffinerien war zeitweise ein Drittel der Tankstellen trockengelegt. Autofahrer mussten mit 50 über die Autobahn zockeln, weil sie an Protestlern, die Schneckentempo fuhren, nicht vorbeikamen. Oder Studenten und Schüler konnten nicht lernen, weil Kommilitonen und Fremde die Zugänge zu den Lehranstalten blockierten.
Es war ein besonderes Phänomen des Protests, dass ausgerechnet beim Rententhema sehr viele junge Menschen militant - und sogar gewalttätig - auftraten. Dazu trug bei, dass in Frankreich auch Schüler oft gewerkschaftlich organisiert sind, und die Initiatoren bei ihnen geschickt moderne Kommunikationsmethoden wie Internet oder SMS zur schnellen Mobilisierung nutzten.
Auch wenn viele Erfahrungen nicht auf Deutschland übertragbar sind: Sie zeigen dennoch, wie rasch politischer Protest sich in bedenkliche Dimensionen steigern kann, bei denen Menschen verletzt werden und die Wirtschaftskraft eines Landes erheblichen Schaden nimmt. Hoffen wir, dass bei uns trotz einer sich ändernden Streitkultur weiterhin die Vernunft siegt.